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lassen, und Schande fürs Gefolge, dem Herrn nicht an Tapferkeit gleichzukommen. Aber Ehr⸗
losigkeit fürs ganze Leben und Schmach hat es zur Folge, seinen Herrn überlebend vom
Schlachtfelde zu gehen; ihn zu verteidigen, ist des Kriegers erste Pflicht. Die Herren kämpfen
um den Sieg, das Gefolge für den Herrn.“
b Ein ebenso starkes, ein ebensosehr die Treue herausforderndes und begünstigendes
Band wie das der Gefolgschaft war das der Blutsbrüderschaft. Die ältesten Deuischen lebten
nicht in großen Gemeinschaften, in Städten beisammen, sondern jede Familie saß allein auf
einem eingehegten Hofe, der seinen eigenen Quell hatte und von dem dazugehörigen Feld
und Wald umgeben war. Die Genossen eines solchen Hofes waren aufs engste unterein—
io ander verbunden, jeder mußte die Freundschaften oder Feindschaften des Hausherrn oder sonst
eines Verwandten zu den seinigen machen. Unrecht, dem Hausherrn oder sonst einem Gliede
der Familie angetan, mußte jeder wie ein ihm selbst angetanes ansehen und rächen. Auch
in der Schlacht standen nicht bunt zusammengewürfelte Haufen nebeneinander, sondern
Hausgenossen und Blutsverwandte bildeten zusammen eine Schar, in der jeder den anderen
verteidigte oder, wenn dieser gefallen war, rächte.
Endlich konnten Helden, außer durch Blutsverwandtschaft oder durch Gefolgschaft, auch
durch den heiligen Schwur der Waffenbrüderschaft aneinander gebunden sein. Dann hatten
solche Waffenbrüder gegeneinander ganz dieselben Verpflichtungen, als ob sie Brüder durch
Blutsverwandtschaft wären; jeder hatte den anderen zu beschützen oder nach dessen Tode
20 zu rächen.
Waffenbrüder deuteten bei dem Schließen ihres Bundes durch ein Zeichen an, daß sie
wie Blutsbrüder nebeneinander stehen wollten. Sie ritzten ihre Hände, ließen das Blut in
eine kleine Erdgrube fließen, rührten es um, und dann, einander die Hände reichend, gelobten
sie sich Brüderschaft. Auch nahm man wohl lange Rasenstücke und richtete sie mit Hilfe eines
Spießes in der Form eines Daches auf; die Freunde traten darunter, verwundeten sich, ließen
ihr Blut zusammenfließen, vermischten es mit Erde, fielen dann nieder und schwuren bei den
Göttern, einer des anderen Blut zu rächen wie Brüder, worauf sie sich die Hände reichten.
Wiederum ist die deutsche Sage und Dichtung reich an Beispielen, wo all' diese Verhält⸗
nisse in unwandelbarer Treue sich bewähren. Mannen-, Verwandten-⸗ und Freundestreue,
z0 das ist ja der wesentliche Inhalt all' der Sagen unseres Altertums, die wir unter dem Namen
der deutschen Heldensagen zusammenfassen.
Ein herrliches Bild von Mannentreue gewährt die Sage von Wolfdietrich. Berch—
tung, sein treuer Meister, kämpft nebst seinen Söhnen für des Herrn Recht, den seine Brüder
um sein Erbe betrügen wollen. Sie geraten in die Gefangenschaft von Wolfdietrichs
5 Brüdern; aber, wie schlimm es ihnen da auch ergeht und wie wohl es ihnen im Gegenteil er—
gehen könnte, wenn sie ihren Herrn verlassen und in seiner Brüder Dienste treten wollten,
nichts kann sie von ihrer Treue abwendig machen. Herrlich ist aber auch endlich ihr Lohn.
Ihr Herr zieht selbst zu ihrer Befreiung aus. Den treuen Meister Berchtung freilich, der ihm
früher im Kampfe mehrere Male zugelächelt hatte, damit Wolfdietrich nicht merke, wie sehr den
0 Alten der Tod seiner in dem Kampfe getöteten Söhne schmerze, diesen treuen Alten sah er nur
als Leiche wieder; der Kummer um seinen Herrn hatte ihm das Herz gebrochen.
In gleicher Treue steht der grimme Hagen des Nibelungenliedes zu seinen Herren,
den Königen von Burgund. Seine Mannentreue besiegelt er mit dem Tode; aber leider muß
seine felsenfeste Treue zu einem schrecklichen, in seinem Ausgange erschreckenden Zwiespalte
s führen, da auch Kriemhild mit gleicher felsenfester Treue an dem Andenken ihres ermordeten
Gatten festhält. So wird Hagen zugleich zum getreuesten und zum ungetreuesten Manne. Als
der getreueste ist er stets wachsam für die Macht und Ehre des Königshauses, dem er verbunden
ist; aber eben aus dieser Treue ist er der ungetreueste gegen jeden, der jenes Haus verdunkeln
oder gefährden möchte. Gegen solche entladet er ganz die finstere, feindselige Gewalt seines
bo Wesens, all seinen Hohn und seine Härte, all den Grimm, von dem er den Beinamen 4
Aber ihm lohnen auch mit gleicher Treue seine Herren, die Könige Gunther und Gernot
und der junge Giselher. Als Kriemhild ihren Brüdern Frieden anbietet unter der Bedingung,
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