Full text: Erzählungen für den ersten Geschichtsunterricht

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hatten. In hohem Greisenalter starb der König inmitten seiner Kinder, 
herzlich geliebt und aufrichtig betrauert von seinem ganzen Volke. Seine 
letzte Ruhestätte fand er im Mausoleum zu Charlottenburg an der Seite 
seiner treuen Gemahlin Luise, die ihm schon vor 30 Jahren im Tode 
vorangegangen war. 
35. Die Königin Luise. 
Die Jahre des Glücks. — Die Gemahlin Friedrich Wilhelms III. 
war die unvergeßliche Königin Luise, die Tochter des Herzogs von Mecklen- 
burg-Strelitz. Sie zeichnete sich ebenso sehr durch Schönheit und Anmut 
wie durch Verstand und Tugend aus. Als Friedrich Wilhelm noch Krön- 
Prinz war, lernte er sie ans einer Reise in Frankfurt a. M. kennen und 
vermählte sich bald darauf mit ihr. Das junge Paar lebte einfach und 
häuslich wie eine gute Bürgerfamilie. Am liebsten hielten sie sich auf dem 
Gute Paretz an der Havel auf. Scherzend nannte sich der Kronprinz 
„den Schulzen von Paretz", während seine Gemahlin „die gnädige Frau 
von Paretz" hieß. Sie nahmen gern teil an den Leiden und Freuden der 
schlichten Dorfbewohner. Am Erntefest z. B. überreichten die Gutsleute der 
Kronprinzessin einen Erntekranz. Sie nahm ihn dankend an, und die hohen 
Herrschaften beteiligten sich am ländlichen Tanze. An den aufgeschlagenen 
Buden kaufte die Kronprinzessin kleine Geschenke für die Kinder des 
Dorfes. Die Kleinen drängten sich an sie heran und riefen zutraulich: 
„Mir auch was, Frau Königin!" An ihrem ersten Geburtstage, den sie in 
Berlin feierte, fragte sie der König, was sie sich wünsche. Sie bat um eine 
Hand voll Gold und verteilte es unter die Armen der Stadt. Als sie 
Königin geworden war, schrieb sie an ihre Großmutter: „Am meisten 
freut mich, daß ich nun meine Wohltaten nicht so ängstlich zu zählen 
brauche." 
Die Jahre des Unglücks. — Bald aber brach schweres Unglück 
über die königliche Familie herein. Als Napoleon nach der Schlacht bei 
Jena in Berlin einzog, mußte die Königin mit den jungen Prinzen nach 
Königsberg fliehen. Hier erkrankte sie schwer am Nervenfieber, und doch 
mußte sie ihre Flucht noch weiter fortsetzen, weil die Franzosen sich auch 
der Stadt Königsberg näherten. Sie selbst erklärte: „Ich will lieber in 
die Hände Gottes als dieser Menschen fallen." Und so wurde sie mitten 
int Winter bei Sturm und Schneegestöber im Wagen nach Memel gebracht. 
Bei Tage fuhr der Wagen teils durch die Wellen des Meeres, teils über 
das Eis der kurischen Nehrung. Die Nacht brachte man in elenden 
Bauernhütten zu, wo der kranken Königin der Schnee uns das Bett wehte, 
und wo es ihr an kräftiger Nahrung fehlte. In Memel erholte sie sich 
bald wieder. Allein der schmachvolle Friede zu Tilsit erschütterte ihre
	        
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