Full text: Prosa für die zweite und erste Klasse (Teil 3, [Schülerband])

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Lichter steht der Obelisk des Sesostris, einst in dem fernen Heliopolis der Sonne 
geweiht, ftemd und seltsam und zeigt die Hieroglyphen seiner rätselhaften Bilder¬ 
schrift. Es ist ein trefflicher chaldäischer Apparat für die Magie dieser Feuer¬ 
erscheinungen, welche die Sphinxe und der Obelisk hergeben, und aus den durch¬ 
glühten Dampfwolken ragen zauberisch beleuchtet die Pinien und die Zypressen 
und die bunten, bizarren Figuren des Pincio, die Säulen mit den Schiffsschnäbeln, 
die melancholischen dacischen Kriegssklaven und so viele andere im Lichtnebel hervor¬ 
schimmernde Marmorfiguren. Nun ist die Roma von Raketen umrauscht und von 
Kanonenschlägen umdonnert und ganz übergössen von purpurner Flammenglut, ein 
schönes Bild der ewigen Stadt, welche unter allen Kämpfen der Geschichte in ihrer 
Majestät sich behauptet hat von der ersten Eroberung durch die barbarischen Gallier 
bis auf die jüngste durch ihre Nachkommen. 
Ein neuer überraschender Zauber — Feuerkaskaden ergießen sich von den Seiten 
der Fassade den Monte Pincio herunter, es sind rauschende phosphoreszierende 
Wellen, es ist das wirkliche Getön eines Wasserfalles, es find die Kaskaden von 
Tivoli — wie prächtig und wie natürlich! Auch sie find erloschen; doch enden 
nimmer die Sternraketen, welche angenehm unterhalten und das Auge beschäftigen, 
und nun folgen wieder Feuerräder, Sprühlichter, Garben; das saust, zischt, knallt, 
knattert, züngelt, raschelt — die ganze Atmosphäre ist in feurigen Dampf gehüllt, 
und die Geister der Elemente scheinen als Tausende von Feuerkobolden, als ge¬ 
flügelte Lichtdrachen, Feuereidechsen, Feuerfliegen, Leuchtkäfer, Feuerschlangen den 
tollsten Hexenkarneval in den Lüften zu halten oder auf feurigen Besen durch den 
Himmel zu fahren. 
Nun wieder Stille und Nacht. Auch die Fassade der gotischen Kirche ist mit 
all ihren bunten Lichtarabesken erloschen. Jetzt aber steigen neue sonderbare Wesen 
aus den märchenhaft schwankenden Pinien und Zypressen, Lorbeern und Blumen¬ 
gebüschen des Monte Pincio auf — es find leuchtende Geschöpfe, die sich langsam 
erheben, es find Fische, die allmählich ausschweben und über die Porta del Popolo 
den Sternen zuziehen. Diese wunderlichen Luftballons, in denen Lichter brennen, 
steigen zu dreien, zu fünfen, einzeln, gruppenweise aus dem Gebüsch auf und 
schweben in verschiedenen Richtungen fort, einige hoch, daß sie Sternen gleichen, 
andere träge und niedrig; so durchschwimmen sie das smaragdene Luftreich. Hier 
und da hascht ein Luftgeist einen Fisch und trägt ihn in die Weite; hier wieder 
fängt einer Feuer und verlodert. Auch diese Erscheinung geht vorüber die letzte 
©alüe von Kanonenschlägen donnert hinter der Roma, eine kleinere, letzte Girandola 
von Raketen — ein Kanonenschuß, und alles ist erloschen. 
Aber wer kann nach Hause kehren, in das dumpfe Gemach sich einzusperren, 
da der Mond in seiner Fülle an diesem tiefblauen, unergründlichen Himmel schwebt 
und diese ernsten Riesenmassen der ewigen Stadt mit magischem Lichtnebel beleuchtet! 
Man muß Rom im Mondenschein durchwandern, dann beschwört man die Toten; 
sie sprengen ihre Gräber und beginnen alle Ruinen zu beleben und zu umwandeln, 
Könige und Kaiser, Helden und Weise, Päpste und Tribunen, Kardinäle und 
Nobili des Mittelalters. 
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