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über welcher das Schweigen des Todes zu lagern scheint, uns irgend ein Unfall
zustieße, der das Weiterwandern unmöglich machte? Wir wären verloren! Rettungs¬
los dem Verhungern und Verschmachten preisgegeben! Vielleicht würde nach Jahren
unser bleichendes Gebein von einem der wenigen Reisenden, die diese Wüste durch¬
wandern, aufgefunden werden. Doch hinweg mit solchen Gedanken! Wir verstatten
es den Wüstengeistern nicht, mit uns ihr ängstlich Spiel zu treiben. Also vor¬
wärts! Keuchend, schwitzend und triefend waten wir durch den heißen Sand; der
letzte Schluck aus unserer Feldflasche vermag nur auf kurze Zeit das quälende
Gefühl des Durstes zu bannen. Wir werden recht matt, namentlich mein rund¬
licher Freund K., der sich immer mehr als wahrer Schwitzkünstler entpuppt. Lange
geht's so nicht weiter. Darum schräg links hinüber zur Vordüne und über sie
hinweg hinab zum Meeresstrande. Ja, das Gute hat die preußische Wüste doch
vor allen anderen voraus, daß es von ihr bis zu den kühlenden Fluten nicht eben
weit ist. Schnell sind die durchschwitzten Kleider abgeworfen und zum raschen
Trocknen auf den heißen Sand am Strande ausgebreitet. Welch köstliche Er¬
frischung und Erquickung bietet uns nun das labende Bad in der heute spiegelglatt
ruhenden See! Gekräftigt und mit neuem Mut beseelt, setzen wir nun unsre
Wanderung fort. Wir müssen doch nun einmal die Nehrung von Osten nach
Westen durchqueren.
Da führt uns der Weg erst über den ca. 30 Fuß breiten, flachen, mit Steingeröll
und allerhand Seeauswurf bedeckten Strand, über die mit Dünengräsern bepflanzte,
sorgsam gepflegte Vordüne hinweg auf die fast völlig ebene „Platte", die stellen¬
weise in das etwas unebnere Kupstenterrain übergeht. Die einzige Spur mensch¬
licher Tätigkeit bildet hier die über die Nehrung verlaufende Telegraphenleitung
von Kranz nach Memel. — Nun gilt es, auf das Sandgebirge der Nehrung, die
Hauptdüne, emporzusteigen. Vor derselben, an der Seeseite, treffen wir eine etwas
dunkler gefärbte, völlig horizontale Fläche an. Wohltuend berührt es uns, daß
wir darauf sehr bequem gehen können, denn sie bietet unsern Tritten eine feste
Grundlage. Doch kaum haben wir einige Schritte getan, und noch eben hat der
eine Fuß festen Grund und Boden unter sich gefühlt, da bringt der nächste Schritt
den anderen in den gefürchteten Triebsand hinein. Wir sind im Nu bis weit
über die Knöchel da hineingeraten und werden wie von einer dämonischen Macht
darin festgehalten. Der Boden, der so unvermittelt und plötzlich unter uns nach¬
gegeben und uns hat einsinken lassen, lagert sich mit bleierner Schwere über und
um den eingesunkenen Fuß. Wie auf Kommando sperren wir vor Schreck den
Mund auf und strampeln aus Leibeskräften, um auf den festen Boden zurück¬
zukommen. Mit großer Anstrengung gelingt es uns auch, und nun sehen wir an
der gefährlichen Stelle Wasser hervortreten, mit welchem sich der umgebende Sand
zu einem dicklichen Brei mischt. Also das ist Triebsand, der Dämon der Nehrung,
der schon so viel Unglück angerichtet, so viel Opfer an Tier- und Menschenleben
gefordert haben soll. Da können wir wohl noch von großem Glücke sagen, mit
dem bloßen Schreck und kaum geretteten Stiefeln davon gekommen zu sein? Nun,
ich muß allerdings offen bekennen, daß es für uns ein beängstigendes Gefühl war,