Full text: Älteres deutsches Epos (Band 1, [Schülerband])

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Bis in des Saales Mitte. 
Die Königin verneigte sich 
Mit ihren Jungfrau'n feierlich 
Und setzte vor den Herrn den Gral. 
Gedankenvoll saß Parzival 
Und blickte nach ihr unverwandt, 
Die ihren Mantel ihm gesandt. 
Drauf teilt sich all' das Gralgeleite; 
Zwölf Jungfrau'n steh'n auf jeder Seite, 
Und in der Mitte steht allein 
Die Magd in ihrer Krone Schein. 
Nun traten vor des Mahls Beginn 
Die Kämmrer zu den Rittern hin, 
Ein jeder ihrer vier zu dienen 
Mit lauem Wasser, das er ihnen 
In schwerem goldnem Becken bot, 
Dabei ein Jungherr wangenrot, 
Das weiße Handtuch darzureichen. 
Da sah man Reichtum ohnegleichen. 
Der Tafel mußten's hundert sein, 
Die man zur Türe trug herein, 
Vor je vier Ritter eine; 
Darauf von edlem Leine 
Deckten sie mit Fleiße 
Tischtücher blendend weiße. 
Der Wirt in seiner stummen Oual 
Nahm selber Wasser; Parzival 
Wusch sich mit ihm zugleich die Hände. 
Drauf bracht' ein Grafensohn behende 
Ein seid'nes Handtuch farbenklar 
Und bot es ihnen knieend dar. 
Ein jeder Tisch, so viel da steh'n, 
Ist von vier Knappen zu verseh'n: 
Die einen knien, um vorzuschneiden; 
Aufwärter sind die andern beiden. 
Nun rollen durch den Saal vier Wagen, 
Die Goldgeschirr in Fülle tragen; 
Das wird von Rittern unverweilt 
An all' die Tafeln ausgeteilt. 
Man zog im Ring sie Schritt für Schritt, 
Und jedem ging ein Schaffner mit, 
Dem dieser Hort zur Hut befohlen, 
Ihn nach dem Mahl zurückzuholen. 
Hundert Knappen traten dann 
Mit Tüchern auf der Hand, heran; 
Voll Ehrfurcht kamen sie gegangen, 
Das Brot vom Grale zu empfangen. 
Denn wie ich selber sie vernommen, 
Soll auch zu euch die Märe kommen: 
Was einer je vom Gral begehrt, 
Das ward ihm in die Hand gewährt, 
Speise warm und Speise kalt, 
Ob sie frisch sei oder alt, 
Ob sie wild sei oder zahm. 
Wer meint, daß dies zu wundersam 
Und ohne Beispiel wäre, 
Der schelte nicht die Märe. 
Dem Gral entquoll ein Strom von Segen, 
Vom Glück der Welt ein vollster Regen. 
Er galt fast all dem Höchsten gleich, 
Wie man's erzählt vom Himmelreich. 
In kleinen goldnen Schalen kam, 
Was man zu jeder Speise nahm: 
Gewürze, Pfeffer, leckre Brüh'n. 
Aß einer zaghaft oder kühn, 
Sie fanden insgesamt genug, 
Wie man's mit Anstand vor sie trug. 
Wein, Maulbeertrank, Sinopel rot, 
Wonach den Becher jeder bot, 
Und welchen Trank er mochte nennen, 
Den lonnt' er gleich darin erkennen, 
Alles durch des Grales Kraft. 
Die ganze werte Ritterschaft 
War so zu Gaste bei dem Gral. 
ꝛoß8s. Wohl sah mit Staunen Parzival 
Die Pracht der Wunder sich bezeigen; 
Jedoch aus Anstand wollt' er schweigen. 
Er dachte: Der getreue Mann 
Gurnemanz befahl mir an, 
Vieles Fragen zu vermeiden. 
Drum will ich höflich mich bescheiden 
Und warten, bis man ungefragt 
Von diesem Haus mir alles sagt, 
Wie man bei Gurnemanz getan. — 
Drauf sah er einen Knappen nah'n 
Mit einem Schwerte schön und stark; 
Die Scheide galt wohl tausend Mark, 
Der Griff ein einziger Rubin. 
Das ward vom Wirt dem Gast verlieh'n: 
„Ich hab' es oft im Kampf getragen, 
Bis Gott am Leibe mich geschlagen. 
Herr, nehmt es als Ersatz entgegen, 
Sollt' man euch hier nicht wohl verpflegen.“ 
Ach, daß auch jetzt er nicht gefragt! 
Um seinetwillen sei's geklagt, 
Da mit dem Schwert, das er empfing, 
Die Mahnung doch an ihn erging. 
Auch jammert mich sein Wirt zumal; 
Denn von der ungenannten Qual 
Würd' er durch seine Frage frei. 
Damit war nun das Mahl vorbei. 
Die Diener griffen nach dem Gold; 
Die Wagen wurden hergerollt 
Und vollgeladen insgesamt, 
Und jede Jungfrau tat ihr Amt, 
Jedoch die letzte nun als erste. 
Mit dem Geleite trat die hehrste 
Vor allen wieder zu dem Gral, 
Und vor dem Wirt und Parzival 
Neigt wiederum die Herrin sich 
Mit allen Jungfrau'n feierlich, 
Worauf den Gral sie mit sich nahmen 
210. 
215. 
220. 
2256. 
280. 
286. 
240
	        
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