Full text: Für Seminarvorbereitungsanstalten und Fortbildungsschulen (Bd. 1 = Vorstufe, [Schülerband])

223 
»2>ct kommt er ganz rußig, der Knirps, der 
Zwerg! 
vvch lebe der kleine Liewenbcrg!" — 
5er Bürgermeister sprach: „Komm, Junge, 
streck noch einmal heraus die Zunge! 
leg' dir lauter Dukaten drauf! 
So, sperr den Mund recht angelweit auf! 
Nur immer mehr herausgereckt! 
Wir haben alle vor dir Respekt! 
Und morgen wird, daß nichts mankiert, 
Die große Spritze hier probiert 
Und, was entzwei ist, repariert!" 
185. Der Rabe. 
Von H. Magus. 
Die Tierwelt. EharakterMen. Essen 1862. S. 142. 
Die Raben erinnern durch die Schärfe ihrer Sinne und die Kräftigkeit des 
Körperbaues an die Raubvögel; wie sie denn auch den Mut und selbst die Grau- 
amkeit derselben zeigen. Die Füße sind stark; der Schnabel groß, an den Rändern 
^neidend; die Nasenlöcher verbergen sich unter borstenartigen Federn. Ihr Gang 
tackelt unbehilflich; der Flug, rudernd und scheinbar schwerfällig, vermag sich zu 
^oßer andauernder Schnelle zu steigern. Bei all ihrem wild-schweifenden Wesen sind « 
Je leicht zähmbar, und ihre Gelehrigkeit, ganz besonders ihre Gabe der Nachahmung, 
wt ihnen schon im Altertum Freunde und Bewunderer erworben. 
Als der bedeutendste Vertreter der Rabenfamilie muß der Kolkrabe betrachtet 
werden. Nicht nur, daß er bei weitem am größten ist und das höchste Alter er¬ 
dicht, sondern er vereinigt auch gleichsam alle Erbtugenden und Erbsünden seines 
^berufenen Stammes in einem scharf ausgeprägten Charakterbilde. Sein tief- 
Gefieder, sein krächzender Schrei, die Gier, mit der er das fernher 
ÄPürte Aas verschlingt, machten ihn den Völkern zu einem dämonischen Wesen. 
Man schrieb ihm verderbliche Kräfte zu und sah in ihm den Herold der Unter¬ 
welt. Dazu kam die Stärke und Kühnheit des Vogels, die sich selbst an dem »e> 
Adler versuchen mag, und vor allem auch seine tückische Grausamkeit; denn schon 
Alten erzählten, daß er kranke Stiere und Maulesel verfolge und ihnen die 
klugen aushacke, und Ähnliches berichten neuere Naturforscher. So war es denn 
Mt ohne Bedeutung, wenn die englischen Tempelritter in ihr Kriegsbanner einen 
Katzen setzten, der einen Totenschädel in den Klauen trug, und wenn sie dem Bilde so 
^e Umschrift gaben: „Hüte dich vor dem Raben!" Selbst für uns hat dieser 
^ogel des Hochgerichtes und der Schlachtfelder noch immer etwas von dem alten, 
lügenhaften Schauer. 
Dieser Auffassung geht indes eine andere, auf einem andern Charakterzuge 
^ruhende, gleichsam ergänzend zur Seite. Der Rabe ist bei den Alten auch der m 
Nie, der prophetische Vogel. Wie die Griechen ihn dem Sonnengott Apollo weihten, 
W weihten ihn in demselben Sinne die Germanen dem alles schauenden Odin, und 
M für die Augurien der Römer kein anderer Vogels eine gleich ominöse Bedeutung 
batte, ist bekannt. Aber auch die Normänner bedienten sich desselben auf ihren 
abenteuernden Fahrten. Sie führten stets mehrere Raben auf ihren Schiffen mit«> 
^ ließen sie von Zeit zu Zeit fliegen, um zu sehen, ob Auge oder Instinkt der 
<iere in der Wasserwüste das gesuchte Land entdecke. Auf diese Weise ward Grön¬ 
land gefunden. 
Alles das weist auf die Klugheit, ja auf den Scharffinn des Vogels zurück, 
^ie ist aber auch in der Tat außerordentlich; um sie sofort zu erkennen, braucht" 
Nn nur in sein schwarzes, stahlglänzendes Auge zu sehen, in dieses Auge, dem 
Mts entgeht, dem nichts gleichgültig ist, das alles versteht. 
... Freilich entwickelt sich diese Seite in dem Charakter des Raben erst vor dem 
anger betrachtenden Blicke und besonders in der Schule der Zähmung, 
g. Wenn er in der Freiheit immer eine mehr oder weniger wilde und unheimliches« 
Ncheinung bleibt, so wird er im Hause dafür ein höchst lustiger, komisch-vertrau-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.