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ersten vielleicht, die er je vergossen hatte. Dann stand er auf und ging schweigend
an sein gewohntes Geschäft.
Während dies auf dem Verdecke geschah, umschwamm das gräßliche Raubtier,
unserer Wut spottend, zwei- und dreimal das Schiff; dann wendete es sich nach der
offenen See, und lange noch sahen wir, als es die Flut langsam durchschnitt, die »
Purpurne Furche, die es hinter sich Herzog, bis es sich in die blaue Ferne verloren hatte.
205. Der Sperling.
Von K. Ende.
Originalbeitrag zu R. H. H i e ck e, Erstes Lesebuch. Leipzig 1873. S. 38.
Den ganzen lieben Tag treibt sich dort der Spatz auf den Gassen und Land-
Wen umher! Wie er sich dort im Staube badet und mit den Flügeln darein-
Mägt! Hat es geregnet, so geht es durch dick und dünn; mögen die schmutzig-
steischfarbenen Füße auch noch schmutziger werden, mag der graue Kittel auch Staub¬
end Dreckflecke bekommen; er denkt so wenig daran, wie der Gassenbube! Von den
Wirtshäusern kommt er jetzt gar nicht fort. Vom frühen Morgen bis zum späten lb
^bend nimmt er den Hühnern, den Tauben, wie den Gänsen das Futter vor der
^ase weg. Der Hausknecht und die Stallmagd werden froh sein, wenn es erst
wieder Kirschen auf den Bäumen gibt. Was er jetzt für einen langen Hals macht,
er die diebischen, langen Augen listig und Pfiffig in seinem dicken Kopfe dreht!
steht er da, Kopf und Schwanz in die Höhe gerichtet, die Flügel nachlässig »
^abhängend. Gewiß will er schon wieder einen Streich ausführen und wartet nur,
dis die Magd fortgegangen ist, die eben den Tauben Futter hingestreut hat. Vor
Tauben fürchtet er sich nicht; machen ihm doch selbst die großen Gänse nicht
vorige. Es scheint, als ob alle seinen losen Schnabel und seinen schwarzen Bart,
M unter den Augen hin bis zu beiden Ohren läuft, fürchteten. Da ist er schon »s
Mitten unter den friedlichen Tauben, als ob er das größte Recht dazu hätte. Wie
vorsichtig er um einen Weizenhalm herumgeht, den ein Knabe aus dem Wirtshause
Vogelleim bestrichen hat, um ihn zu fangen! Der verdächtige Halm ist seinem
Scharfblick nicht entgangen. Da kommt der Knabe leise heran. „Du mußt früher
Aufstehen", denkt der Spatz, und dahinfliegt er, hält es aber nicht der Mühe so
^rt, weit fortzufliegen. Im nahen Baume hat er sich niedergelassen, und spottend
Mt er dem Knaben sein „Dieb! Dieb! Schilp! Schilp!" zu. Verdrießlich ist dieser
^eder fortgegangen, aber unser Gerstendieb ist keineswegs gesonnen, nicht wieder¬
zukommen. „Zwillich! Zwillich!" ertönt es jetzt in einem fort aus dem Baume,
und eine ganze Bande seiner Kameraden, welche diese Spitzbubensprache gar wohln
Umsteht, kommt heran. Einer fliegt nach dem andern herbei, und werden sie auch
vertrieben, sie kommen immer wieder. „Beharrlichkeit führt zum Siege", denken
!Jj, und Scham und Empfindlichkeit ist ihre schwache Seite eben nicht. Dabei ist
Men ^des Futter recht; wählerisch sind sie gar nicht. Sämereien und junge
Pflänzchen, Beeren und Raupen, Käfer und Schmetterlinge, Heuschrecken und Larven, «v
Getreide und Erbsen, Reifes und Unreifes, alles schnabeliert der Sperling, wo er
^ findet, auf dem Miste oder auf der Straße, in den Gärten oder auf den Feldern,
Md da er keine Gespensterfurcht kennt, so helfen alle Scheuchen nichts; er ist so
Mst, daß er sich sogar auf den Hut der ausgestopften Strohpuppe setzt, die im
^sfchbaume hängt, um ihn zu verscheuchen. Höhnend sitzt er da und läßt sich vorn »
^Mde lustig bin und her schaukeln. Seine Unverschämtheit und Frechheit geht so-
daß er selbst dann ruhig auf dem Kirschbaume sitzen bleibt, wenn der Eigen-
Mer hinaufgestiegen ist, um Kirschen abzunehmen. Als wollte er mit demselben
ver das Mein und Dein sich auseinandersetzen, hüpft er ruhig von einem Zweige
M andern, rings um den Eigentümer herum; und so sehr auch dieser schimpft '«
ni> in vollem Rechte zu sein behauptet, er macht sich kein Gewissen daraus, ihm