Full text: Für Seminarvorbereitungsanstalten und Fortbildungsschulen (Bd. 1 = Vorstufe, [Schülerband])

Widern heraus, und alle fielen mit offenen Armen um den Hals des alten Hansjörg, der 
nicht wußte, wie ihm geschah. »Vater, kennt Ihr uns nicht?" rief der älteste, .-ich bin Euer 
^eter und dermalen ein Spezerei- und Gewürzhändler in Warschau, und dieses Frauenzimmer 
m meine Frau!" 
Darauf sprach der zweite Herr: „Und ich bin Euer Gabriel, und dies ist meine Frau, * 
“nb ich habe bisher großen Kornhandel in Warschau getrieben". — Nachher sprach der 
^ltte: »Und ich bin Euer Veit und komme aus Ostindien, wohin ich dreimal mit allerlei 
-^aren reiste; ich habe aus den Zeitungen den Aufenthalt meiner Brüder erfahren und mir 
Landgut bei Warschau gekauft. Nun kommen wir und wollen Euch mit uns nehmen 
und Euer im Alter pflegen." io 
Da weinte der arme Hansjörg Freudentränen am Halse seiner vielgeliebten Kinder 
^ud segnete sie und ihre Weiber. 
»Ja", riefen die Söhne, »Ihr müßt bei uns wohnen; denn Euch nur sind wir unser 
^lück schuldig. Hättet Ihr uns nicht gelehrt, Moos und Lumpen, Knochen und Haare, 
Kräuter und Federn, Baumsamen und Nosenblätter u. dgl. zu sammeln und zu be- is 
fiufceti, so wären wir noch heute arme Bettler. Aber wir haben Euren Spruch uns oft vor- 
öebetet, wenn's uns sauer ward: 
»Bettelbrot ist bittre Not; 
Diebesbrot bringt Galgentod: 
Aber Arbeit segnet Gott!' — w 
Aid dann ging's!" Also sprachen die frommen Söhne und nahmen ihren hochbeglückten 
^ater mit sich und vermachten das Geld, das er beim Kaufmann hatte, an die Gemeinde- 
Mfe zur besseren Besoldung des Schulmeisters und lebten alle froh und vergnügt. 
Da standen die Bauern da und sperrten die Schnäbel auf und wußten nicht, wie das 
Ding zugegangen. Und der Klügste von den Dummen sagte, indem er bedenklich den hohlen *5 
Kopf schüttelte: »Der Hansjörg muß mit dem Teufel einen Bund gemacht haben, wie konnte 
kr sonst zu so vielem Reichtum kommen!" 
Aber der junge Leser weiß bester, wie Hansjörg dazu kam, und mag sich an dessen drei 
Löhnen ein lehrreiches Beispiel nehmen. 
298. Reiters Morgengesang. (1824.) 
Bon M. Hauff (nach einem schwäbischen Volksliede). 
Sämtliche Werte. Stuttgart 1853. Bd. I, S. 5t. 
1. Morgenrot, 
suchtest mir zum frühen Tod! 
^ald wird die Trompete blasen, 
Dann muß ich mein Leben lassen, 
^ch und mancher Kamerad! 
2. Kaum gedacht, 
^ar der Lust ein End' gemacht. 
Gestern noch auf stolzen Rosten, 
Heute durch die Brust geschossen, 
borgen iu das kühle Grab! 
3. Ach, wie bald 
Schwindet Schönheit und Gestalt! 
Tust du stolz mit deinen Wangen, 
Die wie Milch und Purpur prangen? 
Ach! die Rosen welken all'! 
4. Darum still 
Füg' ich mich, wie Gott es will. 
Nun, so will ich wacker streiten, 
Und sollt' ich den Tod erleiden, 
Stirbt ein braver Reitersmann. 
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299. Seltsamer Spazierritt. 
Von P. Hebel. 
Sämtliche Werke. Karlsruhe 1832. Bd. III (Erzählungen de« rheinischen Hausfreundes). S. 11. *5 
Ein Mann reitet auf seinem Esel nach Haus' und läßt seinen Buben zu Fuß 
^kbenherlaufen. Kommt ein Wanderer und sagt: „Das ist nicht recht, Vater, daß 
Ar reitet und laßt Euren Sohn laufen, Ihr habt stärkere Glieder". Da stieg der 
^ater vom Esel herab und ließ den Sohn reiten. Kommt wieder ein Wandersmann 
^Ud sagt: „Das ist nicht recht, Bursche, daß du reitest und lässest deinen Vater zu -»
	        
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