lst mir doch lieber, als im Norden von Schweden und Norwegen. Zwar überziehen
sich in kurzer Zeit die Täler mit einem saftigen, vollen Grün, auch fehlt es nicht
an Blüten mancherlei Art, und die Wärme steigert sich mit jeder Stunde, da die
abkühlende Nacht nicht eintritt, — aber an Kirschen und Birnen ist nicht zu denken,
°ja, nicht einmal an Kartoffeln; und Brot aus Roggen gilt als Delikatesse. Wer
dort wohnt, der bekommt keinen andern Baum zu sehen, als die Tanne oder die
Birke, und wer aus unserem Vaterlande dorthin ziehen will, der nehme nur Abschied
von den Buchenwäldern und Obstbäumen, von der Weinrebe und den Weizenfeldern-
Anfangs begleiten ihn zwar noch alte Bekannte: Apfelbäume, Birnenbäume, Buchen
»o und Eichen; aber je weiter er reist, je mehr bleibt einer nach dem andern zurück,
bis er zuletzt nur noch die düstere Tanne und die zierliche Birke neben sich schaut;
aber ehe er sich's versieht, sind auch diese zu Zwergen zusammengeschrumpft, die kauernd
hinter Klippen und in Schluchten Schutz suchen. Hält er noch immer nicht an in
seiner Wanderung, so nehmen auch die Zwerglein von ihm Abschied, und nun erinnert
ihn nur noch Weidengebüsch an sein Heimatland, bis auch dieses verschwindet, Heide¬
kraut das endlose Wellenland überzieht, Moose und Flechten den Boden polstern und
als die einzig Unüberwindlichen siegreich über die Feinde alles Lebens, über Frost und
Schnee, triumphieren. Das Blöken der Schaf- und Rindviehherden hat sein Ohr schon
längst nicht mehr vernommen, schöne, kräftige Hirten sein Auge schon längst nicht
*° mehr gesehen. Die Menschen, die er hier und dort etwa antrifft, kommen ihm fremd¬
artig vor, kleiner als daheim, mit einem andern Schnitt der Kleider und einem
andern Schnitt des Gesichtes. Es sind die Lappländer, mit welchen er im Norden
von Schweden und Norwegen Bekanntschaft macht.
Auch mit dem Renntiere wird er Freundschaft schließen müssen; denn ohne
» dieses Tier könnte er in Lappland gar nicht leben. Es gehört zu dem Hirschgeschlecht
und hat unter allen Hirscharten die gedrungenste und kräftigste Gestalt. Sein Hals
ist kurz und muskulös, sein Huf platt, seine Beine sind aus starken Knochen zusammen-
gefügt; mit einem Worte, der ganze Bau dieses Hirsches ist zum Ertragen von Be¬
schwerden, zum Ziehen von Lasten eingerichtet. Wie kein anderes Tier weiß es
»»sich auf einem Boden zu ernähren, der acht Monate des Jahres mit Schnee und
Eis bedeckt ist. Das Männchen, wie das Weibchen, hat ein Geweih, während bei
den übrigen Hirscharten nur das Männchen auf diese Zierde stolz sein kann; und da
manche dieser Geweihe fünfzig Pfund wiegen, so ist daraus schon zu ermessen, wie
kräftig das Tier sein muß. Hunger erträgt es ohne viel Beschwerde; Moos ist sein
»s Lieblingsgericht, und trotz dieser kärglichen Nahrung überwindet es viel besser als
das Pferd alle Schwierigkeiten, welche Schnee- und Eisfelder bieten. Unglaubliches
vermag es vor dem Schlitten zu leisten. Wegstrecken, wozu der Lappe im Sommer
drei Tage gebraucht, durchläuft es im Winter in einem Tage. Nur gegen die Wärme
ist es empfindlich. Kommt daher die kurze Sommerzeit, so ist der Lappe gezwungen,
»»mit seinem Renntier aus den warmen Tälern auf die Berge zu flüchten, und selbst
da sucht es sich gern ein Schneefeld zum Ruhen aus. So ist der Bewohner des
Nordens von Europa ein Nomade geworden, weil die Renntiere, welche ihm Kleidung
und Nahrung geben, Nomaden sind. Im Winter lebt er in den Tälern, im Sommer
schlägt er seine Wohnung in den Bergen auf. Birkenstämme bilden das Gerüst, Renn-
» tierfelle die Decke des Zeltes, in welchem nicht nur Weib, Kind und Gesinde, sondern
auch die Hunde wohnen. Diese treiben jeden Tag die Herde zum Melken zusammen,
und wie der Lappe keine andere Milch als die seiner gezähmten Hirsche kennt, s»
kennt er auch kein anderes Bett, als das Fell derselben. Seine Herden sind sein einziger
Reichtum, und Glück und Unglück hängt hier von dem Besitz eines einzigen Tieres
so ab. Wer Herr einer Herde von 1000 Renntieren ist, gilt für einen reichen Mann-
Wird dem Lappländer ein Kind geboren, so beschenkt er es mit einem Reuntierkalbe;
bekommt es den ersten Zahn, so wird es wieder mit einem solchen Geschenk bedacht