Full text: Für Seminarvorbereitungsanstalten und Fortbildungsschulen (Bd. 1 = Vorstufe, [Schülerband])

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unser Todfeind ist seinem Untergange nahe. Komm, laß uns seine Qual noch durch 
unseren Spott vermehren." 
„Schäme dich!" strafte sie die Alte. „Spott über einen Unglücklichen, selbst 
wenn es unser Todfeind sein sollte, verrät ein Herz, das eines gleichen Unfalls 
s würdig wäre." 
378. Ermunterung. (1840.) 
Bon L. M. Ärndt. 
Gedichte. Vollständige Sammlung. Berlin 1360. S. 601. 
1. Was willst du dich betrüben? 
10 Der alte Gott lebt noch, 
Nicht hüben und nicht drüben, 
Nicht ferne und nicht hoch: 
Sein Sein ist allenthalben, 
Sein sieben klingt durchs All, 
rs In höchster Engel Psalmen, 
Zn kleinster Vöglein Schall. 
2. Er weiß um deine Schmerzen, 
Er weiß um deine Lust, 
Und willst du ihn von Herzen, 
»o Gleich hat ihn deine Brust, 
Gleich fällt, wie Frühlingsregen 
Bei warmem Sonnenschein, 
Sein süßer Gnadensegen 
Dir voll ins Herz hinein. 
*3 3. Auf! wirf dein schlechtes Grämen, 
Dein eitles Sorgen weg! 
Berscheuche alle Schemen, 
Die irren deinen Weg! 
Du sollst im Lichte schreiten, 
Und der dich freigemacht, 
Das große Licht der Zeiten, 
Schloß ewig deine Nacht. 
4. Mag alles sinken, wanken, 
Dies eine bleibet fest, 
Gedanke der Gedanken, 
Der nimmer sinken läßt: 
Das große Licht ver Zeiten, 
D ei il H e il a n d Jesus E h r ist, 
Wird Strahlen um dich spreiten, 
W o a l l e s f i n st e r i st. 
5. Dies wage fest zu fassen, 
Dies halte treu und fest, 
Den schwöre nie zu lassen, 
Der nimmer dich verläßt: 
Der dich mit seinem Blute 
Erlöst aus Nacht und Wahn, 
Will, daß mit Hellem Mute 
Du wandelst deine Bahn. 
378. Der Einsiedler. 
ro Bon R. H. Taspari. 
Geistliches und Weltliches. Erlangen 1886. S. 391. 
Vor alters lebte ein Mann, der war sehr aufbrausend und schnell zum Zorn, 
und wenn er zornig gewesen, gereute es ihn wieder. Da dachte er: „Das kommt 
von den bösen Menschen; ließen mich die in Frieden, würd' ich auch wohl sanftmütig 
«s sein. Ich will lieber fortgehen in den wilden Wald und ein Einsiedler werden, da 
werd' ich keinen mehr hören und sehen und werd' mich nicht mehr erzürnen." So 
geht er fort in den Wald, sucht sich einen Ort, wo ein Brunnen vom Felsen herab¬ 
rinnt, und will sich da eine Hütte bauen. Über der Arbeit wird's ihm warm, und 
er trägt seinen Krug zum Brunnen und stellt ihn unter, daß er voll werde; der 
^ Krug aber fällt um, und er muß ihn zum zweitenmal unterstellen. Nach einer 
Weile fällt der Krug abermal, und der Einsiedler, statt ihn wieder aufzustellen, wird 
so zornig, daß er ihn nimmt und am Felsen in tausend Stücke zerschlägt. Als er 
nun den Henkel in der Hand hat und die Scherben auf dem Boden liegen sieht, 
kommt er auf einmal wieder zu sich, erschrickt und spricht zu sich selbst: „O ich 
«5 Tor, ich dachte, daß der Zorn in mich hineinkommt, und nun sehe ich, daß er 
aus mir her aus kommt; drum will ich kein Einsiedler mehr sein, sondern wieder 
zu meinen Brüdern gehen, daß sie mir guten Rat geben und mir beten helfen, mein 
eigen Herz zu bessern." 
Trau dem nicht, der dir der Nächste ist, der in einem Hause mit dir wohnt, 
«aus einem Löffel mit dir ißt und in einem Bette mit dir schläft, nämlich — dir 
selber! —
	        
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