Full text: Vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart (Hälfte 2, [Schülerband])

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Spuren in dem Schnee zurück; aber gestern sind alle Spuren von dem fallenden Schnee verdeckt 
worden. Auch aus dem bloßen Anblicke konnten sie nicht erraten, welche Gegend auf den 
Hals führe, da alle Gegenden gleich waren. Schnee, lauter Schnee. Sie gingen aber 
doch immer fort und meinten, es zu erringen. Sie wichen den steilen Abstürzen aus und 
kletterten keine steilen Anhöhen hinauf. 
Auch heute blieben sie öfter stehen, um zu horchen; aber sie vernahmen auch heute nichts, 
nicht den geringsten Laut. Zu sehen war auch nichts als der Schnee, der helle, weiße Schnee, 
aus dem hie und da die schwarzen Hörner und die schwarzen Steinrippen emporstanden. 
Endlich war dem Knaben, als sähe er auf einem fernen schiefen Schneefelde ein 
hüpfendes Feuer. Es tauchte auf, es tauchte nieder. Jetzt sahen sie es, jetzt sahen sie 
es nicht. Sie blieben stehen und blickten unverwandt auf jene Gegend hin. Das Feuer 
hüpfte immer fort, und es schien, als ob es näher käme; denn sie sahen es größer und 
sahen das Hüpfen deutlicher. Es verschwand nicht mehr so oft und nicht mehr auf so 
lange Zeit wie früher. Nach einer Weile vernahmen sie in der stillen blauen Luft schwach, 
sehr schwach etwas wie einen lange anhaltenden Ton aus einem Hirtenhorne. Wie aus 
Instinkt schrieen beide Kinder laut. Nach einer Zeit hörten sie den Ton wieder. Sie 
schrieen wieder und blieben auf der nämlichen Stelle stehen. Das Feuer näherte sich auch. 
Der Ton wurde zum drittenmale vernommen und dieses Mal deutlicher. Die Kinder 
antworteten wieder durch lautes Schreien. Nach einer geraumen Weile erkannten sie auch 
das Feuer. Es war kein Feuer, es war eine rote Fahne, die geschwungen wurde. Zugleich 
ertönte das Hirtenhorn näher, und die Kinder antworteten. 
„Sanna," ries der Knabe, „da kommen Leute aus Gschaid, ich kenne die Fahne, es 
ist die rote Fahne, welche der fremde Herr, der mit dem jungen Eschenjäger den Gars 
bestiegen hatte, auf dem Gipfel aufpflanzte, daß sie der Herr Pfarrer mit dem Fernrohre 
sähe, was als Zeichen gälte, daß sie oben seien, und welche Fahne damals der fremde 
Herr dem Herrn Pfarrer geschenkt hat. Du warst noch ein recht kleines Kind." 
. „Ja, Konrad." 
Nach einer Zeit sahen die Kinder auch die Menschen, die bei der Fahne waren, kleine 
schwarze Stellen, die sich zu bewegen schienen. Der Ruf des Hornes wiederholte sich von 
Zeit zu Zeit und kam immer näher. Die Kinder antworteten jedesmal. 
Endlich sahen sie über den Schneeabhang gegen sich her mehrere Männer mit ihren 
Stöcken herabfahren, die die Fahne in ihrer Mitte hatten. Da sie näher kamen, erkannten 
sie dieselben. Es war der Hirt Philipp mit dem Hörne, seine zwei Söhne, dann der junge 
Eschenjäger und mehrere Bewohner von Gschaid. 
„Gebenedeit sei Gott," schrie Philipp, „da seid ihr ja. Der ganze Berg ist voll Leute. 
Laufe doch einer gleich in die Sideralpe hinab und läute die Glocke, daß sie dort hören, 
daß wir sie gefunden haben, und einer muß auf den Krebsstein gehen und die Fahne dort 
aufpflanzen, daß sie dieselbe in dem Tale sehen und die Böller abschießen, damit die es 
wissen, die im Millsdorfer Walde suchen, und damit sie in Gschaid die Rauchfeuer anzünden, 
die in der Luft gesehen werden und alle, die noch auf dem Berge sind, in die Sideralpe 
hinab bedeuten. Das sind Weihnachten!" . 
Der Eschenjäger nahm das Mädchen bei der Hand, der Hirt Philipp den Knaben. 
Die andern halfen, wie sie konnten. So begann man den Weg. Er ging in Windungen. 
Bald gingen sie nach einer Richtung, bald schlugen sie die entgegengesetzte ein, bald gingen 
sie abwärts, bald aufwärts. Immer ging es durch Schnee, immer durch Schnee, und die 
Gegend blieb sich beständig gleich. Über sehr schiefe Flächen taten sie Steigeisen an die 
Füße und trugen die Kinder. Endlich nach langer Zeit hörten sie ein Glöcklein, das sanft
	        
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