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Lügen in Vortrag gebracht, ich hätte auch nichts nich sagt." — „Dat Ijürt1) hir gor
nich her!" rep Snider Wimmersdörp, dat is blotes Gedrcehn!" — „Ruhig! — Hei kann
so gaud reden as jeder anner." — „Herr Sneider Wimmersdorp," red'te Brcesig wider,
„wenn Sie meine Rede for Gedroehn estimieren, denn können Sie sich for meinentwegen die
Ohren zuhalten, denn Sie sind mich zu dumm! und nu können Sie hingehen und mich ver¬
klagen; ich bün der Entspekter Brcesig!" — „Hei hett recht! — Fortfahren!" rep dat. —
„Mitbürger, ich hätte nichts nich sagt, denn ich halte es for eine Unpäßlichkeit für jeden
Ökonomiker und andern Menschen, wenn er die Tagelöhner gegen den Herrn aushitzt^); aber
wenn sich einer" — „En Großmogul!" rep de Zimmerling Schulz dormang — „auf diesem
Altare der Brüderlichkeit aufstellt, daß er die hiesige Reform mit Lügen unter die Augen
gehen und sich weiß brennen und ne falsche Einbildung von das Glück seiner Tagelöhner
in Umswang setzen will, denn will ich auch mal reden. — Mitbürger! mein Nam is
Entspekter Zacharias Brcesig!" — „Bravo! bravo!" — „Der Herr Zamwel Pomuchelskopp
hat euch gesagt, daß auf dem Lande keine Armut zu finden sein täte, indem daß er alle
Elemente aufregaliert3) hat, die der Tagelöhner eigentlich haben soll — donrw! wie unser
geehrte Herr Presendent Rein sagt — aber, Mitbürger, mit die Tagelöhnerelemente ist
es grademang so as mit Rindfleisch un PlummenH: sie smecken sehr gut, aber wir kriegen
sie man nich. — Zum Exempel und bloß so prüter propter mit die Wohnung! —
Gleich rechtschen in Gürlitz steht ne Art von Sweinstall, was ne Wohnung bedeuten soll,
da wohnt Willgaus drin — is Willgaus hier?" — Willgaus was nich hir. — „Schadt
ihm auch nicht. — Das Dach is förre5 *) drei Johr nicht dicht macht, und oben läuft der
Regen piplings^) hinein, und wenn en ordentlichen Gewitterregen kommt, denn läuft den
Mann die Stub voll, daß seine kleinen Würmer, wildeß er mit der Frau in den AustH
ist, als die Poggen darin herumasen^), und als er sich darüber beswerte, sagte der Herr
Pomuchelskopp: er hieße ja Willgaus9), und vor Gäus wäre das Wasser ja angenehm."
— „Pfui! pfui! — Dat hadd hei nich seggen müßt!" — „Und nun mit die freie Weide
und das Heu für die Kuh! Wo is denn die Weide? Re halbe Meile von dem Dorf,
auf dem Außenacker, wo nichts nich als Bucksbort10 *) maßt, und in die Dannen, und da
sollen die Haussrauens dreimal auf den Tag zum Milchen hingehn? — Na, drei Habens
man noch nötig, denn achtzehn Tagelöhner von die einundzwanzig haben ihre Kühe an
Rüggblaud") un Rodwater") und, was weiß ich, verloren und haben keine mehr; und die
drei, die noch da sünd, sünd wohre Danzmeisters." — „De Kirl is en Großmogul!"
rep de Zimmerling achter em, „rut! rut!" — „Ruhig! ruhig! Wider reden laten!" —
— „Ja, Mitbürger, ich will weiter reden. — Mit das Holz und den Torf! — Der Torf
is Muschtorf12) aus dem Bruch un grus't") ausenander und hat keine Hitz^), und das
Holz sünd Dannenquäst") un Sammelholz, was die Kinder auf dem Puckel nach Hause
tragen müssen; und dann das Kartoffel- und Leinland! — Wo ists? — Im Außenacker,
auf dem abtragen Slag^) . ., und wenn einer denn im Herbst das bischen Kartoffeln
sieht, slägt er die Hänn übern Kopp zusammen und sagt: Gott du bewohre! Davon
soll die Fomilie und das Swein den Winter über von leben! Aber sie leben nich davon,
1) hürt, gehört. 2) aufhitzt, aufhetzt. 3) elemente aufregaliert, Emolumente aufgetischt.
4) plummen, Pflaumen. 5) förre, seit. 6) piplings, in Strömen, wie aus einer Röhre.
7) aust, Ernte. 8) herumasen, im Schmutz herumwühlen. 9) Willgaus, Wildgans. 10) bucks-
bort, Bocksbart. 11) rügg'blaud, Rückenblut; rodwater, rotes Wasser (Krankheiten des Rind¬
viehs). 12) muschtorf, Moostorf. 13) bruch, mit Erlenholz u. s. w. bestandenes Sumpfland.
14) grus't, zerstäubt, zerkrümelt.' 15) hitz, Heizkraft. 16) dann engn äst, Tannenquäste (dünne
Zweige). 17) abtragen slag, der Acker, welcher in der Fruchtfolge zum letztenmal besäet wird,
bevor er als Weide und Brache neue Kraft sainmelt, und daher nur geringe Erträge bringt.