Full text: [Band 2, [Schülerband]] (Band 2, [Schülerband])

Im Lichte des Christentums. 
^2^. Die Einführung des Christentums in Deutschland. 
Versetzen wir uns im Geiste in die altgermanischen Urwälder, in 
die Zeit, welche den Stürmen der Völkerwanderung voranging! 
Damals wurde Deutschland von einer Menge unabhängiger Völker¬ 
schaften bewohnt, die oft untereinander wilde Kriege führten und, einem 
inneren Wandertriebe folgend, häufig ihre Wohnsitze wechselten. Ihre 
Hauptbeschäftigung war Jagd und Krieg. Ackerbau ließ das rauhe, von 
Wäldern umzogene Land nur wenig zu, mehr die Viehzucht. Von Städten 
und Dörfern ist noch keine Spur. Die Höfe, die Blockhäuser der Adelinge 
und die Hütten der Gemeinfreien lagen zerstreut in der Mitte ihres Eigen¬ 
tums. Nirgends eine Spur von Gelehrsamkeit; nirgends Bücher oder 
pergamentrollcn in den Däusern. Nur die sich streng absondernden 
Priester kennen die Runenschrift und suchen die Kenntnis derselben sorg¬ 
fältig ihrem Stande zu erhalten. Der Knabe wächst unter der Obhut der 
Mutter auf und tritt im wehrhaften Alter unter die Schar der Männer 
um teilzunehmen an den gemeinsamen Beratungen, den öffentlichen 
Gerichten auf den Malstättcn, den gemeinsamen Opfern und Festlichkeiten 
und den gemeinsamen Kämpfen. Von künstlicher Erziehung, von Be¬ 
lehrung aus Büchern ist nichts zu finden. Das Kind abstrahiert sich die 
sittlichen Gesetze aus dem Beispiele der Stammesgenossen, die im Krieg 
und im Frieden, im brause und im öffentlichen Leben nach den uralten, 
von den Vätern ererbten Sitten und Anschauungen denken, streben und 
handeln. Wir kennen ja die Ideale, nach denen der ganze Stamm un¬ 
bewußt sein Leben regelte. Todesmutige Tapferkeit und Treue, Treue 
dem selbsterwählten Fürsten, dem Blutsbruder, dem Weibe, der Ver¬ 
wandtschaft, der Sippe; Treue dem gegebenen Worte, Verehrung der 
Götter, Hochachtung vor dem Weibe, Keuschheit und Gastfreundschaft 
— das sind die guten Sitten, die wir in jenen Zeiten finden. Daneben 
gilt aber auch als sittliche Forderung unbändiger Stolz, wilder Haß gegen 
die Feinde, gegen den Beleidiger, gegen den Mörder eines nahen Ver¬ 
wandten, Grausamkeit gegen kriegsgefangene Feinde, Verachtung der 
Sklaven. Milde Regungen wurden als unmännlich erachtet. In reli¬ 
giöser Einsicht eine große Abhängigkeit gegenüber den Eindrücken, die 
die Natur auf des Menschen Gemüt ausübt. Der Wald, der Berg, der 
Ouell, der See waren ihnen bevölkert mit bald lieblich lockenden, bald 
neckenden oder Unheil drohenden Wesen: mit Elfen, Nixen, Kobolden, 
Zwergen, Waldweibern. Dies sind in wenigen Zügen die Hauptseiten 
des geistigen Lebens jener Zeit. Sie waren allen gemeinsam, dem Könige, 
dem Herzoge wie dem geringsten Freien und erbten sich ungekünstelt und 
unverändert durch ftemde Bildung von Geschlecht zu Geschlecht. Daraus 
§> 204 E
	        
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