Full text: [Band 2, [Schülerband]] (Band 2, [Schülerband])

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beruht gerade ein Teil der Volkstümlichkeit des Stückes, jener Volkstümlich¬ 
keit, die, vor hundert Jahren ganz ohne Beispiel, auch heute noch nicht 
erloschen ist, und die auch, solange deutsches Wesen übrig ist, nie ganz 
erlöschen kann. Noch heute, nach einem Jahrhundert ungeheuerster 
Wandlungen im Leben des deutschen Volkes, wirken Lessings Charaktere 5 
durch ihre poetische Wahrheit, sprechen sie uns an als Zeugen und Mit¬ 
handelnde einer bedeutenden, in ihrer Art einzigen Zeit. 
Während aber von dem lächerlichen Riccaut und der bald kriechenden, 
bald anmaßlichen Verlumptheit dieses französischen Glücksritters' bis zu dem 
rührenden Scherz des großmütigen Wachtmeisters und des treuen deutschen 10 
Bedienten Just alle Figuren dem Komischen angehören, tritt uns nur in 
dem einen Tellheim, dem eigentlichen Träger des Ganzen, in den Lessing 
seine volle Seele gelegt hat, der zum Tragischen neigende Ernst der 
Lessingschen Muse und des Lessingschen Charakters entgegen. Denn Tell- 
heim, nicht Minna ist die Hauptperson dieses Stückes, dessen Grundgedanke 15 
die Soldatenehre, die Ehre des Offizierstandes ist. Der Widerstreit zwischen 
Ehre und Liebe, in welchen Tellheim durch seinen Rechtsstreit mit dem 
Staate und seine von der edelsten Handlungsweise herbeigeführte Verarmung 
gerät, ist unendlich berechtigter und steht in gar keinem Vergleich mit jener 
halb barbarischen, halb aberwitzigen Peinlichkeit der Ehrbegriffe, welche bei 20 
andern Dichtern die dramatischen Widerstreite erzeugt. Es ist der ideale 
Ehrbegriff des Offiziers und Edelmanns, wie er sich ausgebildet hat in dem 
Heere des unsterblichen Preußenkönigs, der Tellheims Lebensgrundsatz bildet. 
Der Ehre muß alles nachstehn, selbst die Liebe. Tellheim ist das Muster 
eines Offiziers, ein echt ritterlicher Charakter in der schönsten ^Bedeutung 25 
dieses viel mißbrauchten Wortes; ein vortrefflicher Herr und Vorgesetzter, 
angebetet von seinem Diener und von seinen Untergebenen wegen seiner 
milden Menschlichkeit, die selbst den erbärmlichen Philister von Wirt, dies 
Musterbild kriecheuder Spießbürgerlichkeit, anständig behandelt, statt ihn 
nach Verdienst zu strafen; ein treuer Freund, der tiefsten Liebe fähig, weil 30 
voll Ehrfurcht vor dem Weibe, voll einer Hochachtung, die es ihm selbst 
unerträglich erscheinen läßt, eine verlobte Braut an sein Schicksal und an 
seinen Namen zu knüpfen, wenn beide, und wäre es auch völlig unverdienter¬ 
weise, Schaden gelitten — Schaden, der ihn unheilbar dünkt, weil er die 
Ehre betrifft. So steht er vor uns, so entwickelt er sich nach allen diesen 35 
Seiten hin, entwickelt er im Verlauf der Handlung sich endlich in sich selbst 
bis zu der Höhe, wo das Gefühl jedelster Menschlichkeit, das Gefühl der 
wahren Liebe und ihrer höchsten Pflicht, den Sieg davonträgt auch über 
Gefühl und Pflicht der Standesehre. Der reichen, glücklichen, von vornehmen 
und stolzen Verwandten umgebenen Braut darf er, auch wenn sie selber in 40 
ihn dringt, die Treue nicht halten, die sie nach seinen Begriffen unglücklich 
machen, ja erniedrigen würde. Der Enterbten, Verstoßenen, um seinetwillen 
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