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von den Ihren Aufgegebenen wirft er sich zu Füßen und beschwört sie um
die Gunst, sich und sein Leben ihr weihen zu dürfen! Er ist stolz nur,
wo er allein empfangen soll! Er ist ganz Demut und Hingebung, wo
er die Aussicht hat, leisten zu dürfen. Und auf dieser Höhe, wo die
5 Natur über das Herkommen, die echte Menschheit über das Vorurteil der
Satzung, die Liebe über die Standesehre triumphiert, aus dieser Höhe wird
ihm am Schlüsse der höchste, der verdienteste, einzig seiner würdige und
für ihn den höchsten Wert habende Lohn: die volle Anerkennung seiner
makellosen 'Ehre durch die Gerechtigkeit seines erhabenen Königs und
10 Kriegsherrn.
Die Ehre ist es, die der Liebe den Kranz flicht in diesem unvergleich¬
lichen Werke, dem schönsten, das je ein Herz voll Liebe und Ehre gedichtet
hat. Denn in dieser „Minna von Barnhelm" steckt nicht bloß, wie Goethe
einmal gesagt hat, Lessings Verstand, sondern auch sein großes, warmes,
15 edles Herz, sein Herz voll Ehre und Liebe, der ganze Lessing. Es war
eine der wunderlichen Grillen Tiecks, für diesen Charakter eine Anknüpfung
an irgendwelches englische Vorbild herauswittern zu wollen. Lessings Tell-
heim ist seinem Wesen nach Lessing selbst, und im weiteren Verlauf seines
Lebensschicksals sehen wir, daß er sich in einer ähnlichen Lage, deren harte
20 Prüfung er nicht ahnen mochte, als er seine Minna dichtete, durch eine
ähnliche übertriebene Empfindlichkeit des Ehrgefühls in Geldsachen unsäglich
viel Lebensleid bereitet und schöne Jahre verdorben hat.
Und wie liebevoll sind alle Nebenpersonen behandelt! Dieser pudel¬
treue, grundehrliche, derbwitzige Bediente Just, dieser biederherzige, liebens-
25 würdig-großmütige Wachtmeister, mit welcher feinsten Kenntnis des Herzens
sind sie gezeichnet und ausgestattet! Lessing liebte das Volk, das er durch
und durch kannte; darum ist auch sein Bild so treffend. Die Romantiker,
die Lessing nie recht leiden mochten, kannten und liebten es nicht, darum
hat auch keiner von ihnen eine dramatische Figur oder Szene aus diesem
30 Bereich zu schaffen gewußt, selbst nicht der treffliche Jmmermann, dem sein
Hofschulze und sein Patriotenkaspar erst gelangen, als er der Romantik
den Abschied gab. Und wie leibt und lebt bei Lessing alles: diese Kammer¬
jungfer, die mit ihrem Wachtmeister ein komisches Gegenstück zu Tellheim und
Minna bildet; dieser unsterbliche Riecaut, das Muster aller schwindlerischen
35 Jndustrieritter und Spieler der Bühne. Und selbst der Schelm von Wirt,
das Ärgernis des braven Just, für den er trotz aller gespendeten Danziger
doch ein Lumpenhund bleibt, — wie hat Lessing in ihm den richtigen
deutschen Philister von damals abgebildet^ mit seiner Kriecherei vor den
Reichen und Vornehmen, seiner kleinherzigen Gemeinheit gegen das Verdienst
40 im Unglück, seiner Begeisterung für die buchstäbliche Allwissenheit des
Königs und der hohen Obrigkeit und Polizei, denen alles in die Schuhe
geschoben wird, und die für alles verantwortlich gemacht werden . . . Unsere