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Nun verkündigt der Glockenschall und nun die vordersten des langen Zuges, welche über die
bunte Brücke ganz sachte einherschritten daß alles gethan sei. Die Aufmertsamkeit war größer
denn je, der Zug deutlicher als vorher, besonders für uns, da er jetzt gerade nach uns zuging.
Wir sahen ihn, sowie den ganzen volkserfüllten Platz beinahe im Grundriß. Nur zu sehr draͤugte
sich am Ende die Pracht; denn die Gesandten, die Erbämter, Kaiser und König unter dem Bäl—
dachin, die drei geistlichen Kurfürsten, die sich auschlossen, die schwarzgekleideten Schöffen und Raths⸗
herren, der goldgestickte Himmel, alles schien nur eine Masse zu sein, die nur von einem Willen
bewegt, prächtig harmonisch und, soeben unter dem Geläute der Glocken aus dem Tempel tretend,
als ein Heiliges uns entgegenstrahlte.
Eine politisch- religibse Feierlichkeit hat einen unendlichen Reiz. Wir sehen die irdische
Majestät vor Augen, umgeben von allen Symbolen ihrer Macht; aber iudem sie sich vor der himm
lischen beugt, bringt sie uns die Gemeinschaft beider vor die Sinne. Denn auch der Einzelne
vermag seine Verwändtschaft mit der Gottheit nur dadurch zu bethätigen, daß er fich unterwirft
und anbetet.
Der von dem Markte her ertönende Jubel verbreitete sich nun auch über den großen Platz,
und ein ungestümes Vivat erscholl aus tausend und aber tausend Kehlen und gewiß auch aus den
Herzen. Denn dieses große Fest sollte ja das Pfand eines dauerhaften Friedens werdem der auch
wirklich lange Jahre hindurch Deutschland beglückte.
Mehrere Tage vorher war durch öffentlichen Ausruf bekannt gemacht, daß weder die Brücke
noch der Adler über dem Brunnen preisgegeben und also nicht vom Volke, wie sonst, angetastet
werden solle. Es geschah dieses, um manches bei solchem Anstürmen unbermeidliche Unglück zu
derhüten. Allein, um doch einigermaßen dem Genius des Pöbels zu opfern, gingen eigens besiellte
Personen hinter dem Zuge her, lösten das Tuch von der Brücke, wickelten es bahnenweise zu⸗
sammen und warfen es in die Luft. Hierdurch entstand nun zwar kein Unglück, aber ein lächer—
liches Unheil; denn das Tuch entrollte sich in der Luft und bedeckte, wie es niederfiel. eine größere
oder geringere Anzahl Menschen. Diejenigen nun, welche die Enden faßten und solche an sich
zogen, rissen alle die mittleren zu Boden, umhüllten und ängstigten sie so lange, bis sie sich durch—
gerissen oder durchgeschnitten und jeder nach seiner Weise einen Zipfel dieses durch die Fußtritte
der Majestäten geheiligten Gewebes davongetragen hatte.
Dieser wilden Belustigung sah ich nicht lange zu, sondern eilte von meinem hohen Stand—
Ate durch allerlei Treppchen und Gänge hinunter an die große Römerstiege, wo die aus der Ferne
angestaunte so vornehme als herrliche Masse heraufwallen sollte. Das Gedränge war nicht groß,
weil die Zugänge des Rathhauses wohl besetzt waren, und ich kam glücklich unmittelbar oben au
das eiserne Geländer. Nun stiegen die Hauptpersonen an mir vorüber, indem das Gesolge in den
unteren Gewölbgängen zurückblieb, und ich konnte sie auf der dreimal gebrochenen Treppe von
allen Seiten und zuletzt ganz in der Nähe betrachten. Endlich kamen auch die beiden Majestäten
herauf. Vater und Sohn waren wie Menächmen überein gekleidet. Des Kaisers Hausornat von
purpurfarbener Seide, mit Perlen und Steinen reich geziert, sowie Krone, Scepter und Reichs⸗
apfel fieen wohl in die Augen; denn alles war neu daran und die Nachahmung des Alterthums
geschmackvoll. So bewegte er sich auch in seinem Anzuge ganz bequem, und sein treuherzig wür—
diges Gesicht gab zugleich den Kaiser und den Valer zu erkennen. Der junge König hingegen
schleppte sich in den ungeheuern Gewandstücken mit den Kleinodien Karls des Großen wie in mner
Verkleidung einher, so daß er selbst, von Zeit zu Zeit seinen Vater ansehend, fich des Lächelns
nicht enthalten konnte. Die Krone, welche man sehr hatte füttern müssen, siand wie ein über—
greifendes Dach vom Kopf ab. Die Dalmatica, die Stola, so gut sie auch angepaßt und eingenäht
worden, gewährte doch keineswegs ein vortheilhaftes Aussehen. Scepter und Reichsapfel setzten in
Verwunderung; aber man konnte sich nicht leugnen, daß man lieber eine mächtige, dem Anzuge
wachsene Gestalt um der günstigeren Wirkung willen damit bekleidet und ausgeschmückt gesehen
hätte. Kaum waren die Pforten des großen Saͤales hinter diesen Gestalten wieder geschlossen, so
eilte ich auf meinen vorigen Platz, der von anderen bereits eingenommen, nur mit einiger Noth
mir wieder zutheil wurde.
Es war eben die rechte Zeit, daß ich von meinem Fenster wieder Besitz nahm, denn das
Merkwürdigste, was öffentlich zu erblicken war, sollte eben vorgehen. Alles Volt hatte sich gegen
den Roͤmer zugewendet, und ein abermaliges Vivatschreien gab uns zu erkennen, daß Kaiser und
dönig an dem Ballkonfenster des großen Saales in ihrem Ornate fich dem Volke geiglen Aber
sollten nicht allein zum Schauspiel dienen, sondern vor ihren Augen sollte ein seltsames Schau⸗
spiel vorgehen. Vor allem schwaug sich nun der schöne, schlanke Erbmarschall auf sein Roß; er
hatte das Schwert abgelegt, in seiner Rechten hielt er ein silbernes gehenkeltes Gemäß und ein
Streichblech in der Linken. So ritt er in den Schranken auf den großen Haferhaufen zu, sprengte
hinein, schöpfte das Gefäß übervoll, strich es ab und trug es mit großem Anstande wieder zuruͤck.
Der kaiserliche Marstall war nunmehr versorgt. Der Erblämmerer vitt fodann gleichfalls auf jene
Begend zu und brachte ein Handbecken nebst Gießfaß und Handquele zurück. Unterhaltender aber
sür die Zushauer war der Erbtrugseß, der ein Stück von dem gebralenen Ochsen zu holen kam.
Uuch er in mit einer sübernen Eduüsfel durch die Schranken bis zu der großen Breitertüche und
tam bald mit verdecktem Gericht wieder hervor, um seinen Weg nadh dem s zu nehmen Die