Full text: Poetische Blumenlese oder Grundlagen für den Unterricht in der Poetik und Litteraturgeschichte

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Zweite Abteilung. Epische Poesie. 
Zieht rote Furchen in die Flut 
Und spannt des Fittichs Segel auf.— 
Wie lieblich flüstert dort im Hain 
Der schlanken Espen furchtsam Laub 
Am Ufer, und wie reizend fließt 
Die Saat in grünen Wellen fort 
Und rauscht, vom Winde sanft be— 
wegt — 
O! was für Anmut haucht anitzt 
Gestade und Meer und Himmel aus! 
Wie schön ist alles! und wie froh 
Und glücklich macht uns die Natur! 
Im leichten Kahn der Sturm und warf 
Mich mit den Wellen in die Luft; 
Am Gipfel eines Wasserbergs 
Hing oft mein Kahn hoch in der Luft, 
Und donnernd fiel die Flut herab, 
Und ich mit ihr Das Volk des Meers 
Erschrak, wenn über seinem Haupt 
Der Wellen Donner tobt' und fuhr 
Tief in den Abgrund; und mich dünkl', 
Daß zwischen jeder Welle mir 
Ein feuchtes Grab sich öffnete. 
Der Sturmwind taucht' dabei ins 
Meer 
Die Flügel, schüttelte davon 
Noch eine See auf mich herab. 
Allein bald legte sich der Zorn 
Des Windes und die Luft ward hell, 
Und ich erblickt' in stiller Flut 
Des Himmels Bild. Der blaue Stoör 
Mit roten Augen sahe bald 
Aus einer Höhl' im Kraut der See 
Durch seines Hauses gläsern Dach: 
Und vieles Volk des weilen Meers 
Tanzt' auf der Flut im Sonnenschein! 
Und Ruh' und Freude kam zurück 
In meine Brust. Jetzt wartet schon 
Das Grab auf mich. Ich fürcht' es 
nicht. 
Der Abend meines Lebens wird 
So schön, als Tag und Morgen sein. 
O Sohn! sei fromm und tugendhaft; 
So wirst du glücklich sein, wie ich, 
So bleibt dir die Natur stets schön. 
3. Ja, sagt' Irin sie macht uns froh 
Und glücklich, und du wirst durch sie 
Glückselig sein dein lebelang, 
Wenn du dabei rechtschaffen bist; 
Wenn wilde Leidenschaften nicht 
Von sanfter Schönheit das Gefühl 
Verhindern. O Geliebtester! 
Ich werde nun in kurzem dich 
Verlassen und die schöne Welt 
Und in noch schönern Gegenden 
Den Lohn der Redlichkeit empfahn. 
Ol bleib' der Tugend immer treu, 
Und weine mit den Weinenden, 
Und gieb von deinem Vorrat gern 
Den Armen. Hilf, so viel du kannst, 
Zum Wohl der Welt. Sei arbeitsam. 
Erheb' zum Herren der Natur, 
Dem Wind und Meer gehorsam ist, 
Der alles lenkt zum Wohl der Welt, 
Den Geist. Wähl' lieber Schand' und 
Tod, 
Eh' du in Bosheit willigest. 
Ehr', Üerfluß und Pracht ist Tand; 
Ein ruhig Herz ist unser Teil. 
Durch diese Denkungsart, mein Sohn, 
Ist unter lauter Freuden mir 
Das Haar verbleichet. Und wiewohl 
Ich achtzigmal bereits den Wald 
Um uns're Hütte grünen sah: 
So ist mein langes Leben doch 
Gleich einem heitern Frühlingstag 
Vergangen, unter Freud' und Lust. 
Zwar hab' ich auch manch Ungemach 
Erlitten. Als dein Bruder starb, 
Da flossen Thränen mir vom Augd', 
Und Sonn' und Himmel schien mir 
schwarz. 
Oft auch ergriff mich auf dem Meer 
4. Der Knabe schmiegt' sich an den 
Arm 
Irins und sprach: Nein, Vater, nein, 
Du stirbst noch nicht; der Himmel 
wird 
Dich noch erhalten, mir zum Trost! 
Und viele Thränen flossen ihm 
Vom Aug'. — 
5. Indessen hatten sie 
Die Reusen ausgelegt. Die Nacht 
Stieg aus der See, sie ruderten 
Gemach der Heimat wieder zu. — 
Irin starb bald. Sein frommer Sohn 
Beweint' ihn lang', und niemals kam 
Ihm dieser Abend aus dem Sinn. 
Ein heil'ger Schauer überfiel 
Ihn, wenn ihm seines Vaters Bild
	        
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