Full text: Poetische Blumenlese oder Grundlagen für den Unterricht in der Poetik und Litteraturgeschichte

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Zweite Abteilung. Epische Poesie. 
Hab' ich doch immer gesagt, wenn du weintest: Frau, nur geduldig! 
Bet' und vertrau'! Je größer die Not, je näher die Rettung 
Schwer ist aller Beginn; wer getrost fortgehet, der kommt an!“ 
Feuriger rief es der Greis und las die erbauliche Predigt 
Nach, wie den Sperling ernähr' und die Lilie kleide der Vater. 
Doch der balsamische Trank, der altende, löste dem Alten 
Sanft den behaglichen Sinn und duftete süße Betäubung. 
Muütterchen hatte mit Sorg' ihr freundliches Stübchen gezieret, 
Wo von der Schule Geschäft sie ruheten und mit Bewirtung 
Rechtliche Gäst' aufnahmen, den Prediger und den Verwalter; 
Hatle gefegt und geuhlt und mit feinerem Sande gestreuet. 
Reine Gardinen gehängt um Fenster und luftigen Alkov, 
Mit rotblumigem Teppich gedeckt den eichenen Klapptisch 
Und das bestäubte Gewächs am sonnigen Fenster gereinigt, 
Knospende Ros' und Levkoi' und spanischen Pfeffer und Goldlack, 
Samt dem grünenden Korb Maililien hinter dem Ofen. 
Ringsum blinkten gescheuert die zinnernen Teller und Schüsseln 
Auf dem Gesims'; auch hingen ein paar stettinische Krüge, 
Blaugeblümt, an den Pflöcken, die Feuerkieke von Messing, 
Desem und Mangelholz und die zierliche Elle von Nußbaum. 
Aber das grüne Klavier, vom Greise gestimmt und besaitet, 
Stand mit gebildertem Deckel und schimmerte; unten befestigt 
Hing ein Pedal; es lag auf dem n ein offnes Choralbuch. 
Quch den eichenen Schrank mit geflügelten Köpfen und Schnörkeln, 
Schraubenförmigen Füßen und Schluüsselschilden von Messing 
Ihre selige Mutter, die Küsterin kauft' ihn zum Brautschatz) 
Halte fie abgestäubt und mit glänzendem Wachse gebohnet. 
Oben stand auf Stufen ein Hund und ein züngelnder Löwe, 
Beide von Gips, Trinlgläser mit eingeschliffenen Bildern. 
Zween Theetöpfe von Zinn und irdene Tassen und Apfel. 
Als sie den Greis wahrnahm, wie er ruht' in atmendem Schlummer, 
Sland das Mütterchen auf vom binsenbeflochtenen Spinnstuhl, 
Langsam, trippelte dann auf knirrendem Sande zur Wanduhr 
Leis und knüpfte die Schnur des Schlaggewichts an den Nagel, 
Daß ihm den Schlaf nicht störte das klingende Glas und der Kuckuck. 
Jetzo sah sie hinaus, wie die stöbernden Flocken am Fenster 
Nieselten, und wie der Ost dort wirbelte, dort in den Eschen 
Rauscht', und der hüpfenden Kräh'n Fußtritte verweht! an der Scheuer. 
Lange mit ernstem Gesicht, ihr Haupt und die Hände bewegend, 
Stand sie vertieft in Gedanken und flüsterte halb, was sie dachte: 
„Lieber Gott, wie es stürmt und Schnee in den Gründen sich anhäuft! 
Armer, wer jetzt auf Reisen hindurch muß, ferne der Einkehr! 
Auch wer, Weib zu erwärmen und Kind, auswandert nach Reisholz, 
Hungrig oft und zerlumpt! Kein Mensch wohl jagte bei solchem 
Weller den Hund aus der Thüre, wer seines Viehs sich erbarmet! 
Dennoch kommt mein Söhnchen, das Fest mit dem Vater zu feiern! 
Was er wollte, das wollt ex, von Kind auf! Gar zu besonders 
Wühlt mir das Herzl Und o! wie die Katz' auf dem Tritte des Tisches 
Schnurrt und das Pfötchen sich leckt, auch Bart und Nacken sich putzet! 
Das bedeutlet ja Freide nach aller Vernünftigen Urteil!“
	        
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