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Dritte Abteilung. Lyrische Poesie.
Grundgedanke: Weine nicht über den Verlust dir lieber und teuerer Seelen;
eine kurze Spanne Zeit, und du wirst mit ihnen im Jenseils wieder vereinigt.·
Man empfinde das Träumerische des ganzen Gedichtes, zumal in der Morgenstunde,
wo auch der wirkliche Verlust einem nur als geträuümter vorkommt.
478. Vierzeilen.
Friedrich Ruckert.
1. Der Frühling ist ein Dichter,
Wohin er blicket, blühet Baum und Strauch;
Der Herbst ein Splitterrichter:
Die Blättlein welken, die berührt sein Hauch.
2. Wenn die Wässerlein kämen zuhauf,
Gäb' es wohl einen Fluß;
Weil jedes nimmt seinen eigenen Lauf,
Eins ohne das andre vertrocknen muß.
3. Nullen, tretend hinter ein Eins,
Würden Tausende zählen;
Weil sie den Führer nicht wählen,
Zählen sie alle zusammen keins.
4. Sich im Spiegel zu beschaun,
Kann den Affen nur erbaun.
Wirke! nur in seinen Werken
Kann der Mensch sich selbst bemerken.
5. Den Kohl, den du selber dir gebaut,
Mußt du nicht nach dem Marktpreis schätzen;
Du hast ihn mit deinem Schweiß betaut,
Die Würze läßt sich durch nichts ersetzen.
6. Gesell dich einem Bessern zu,
Daß mit ihm deine bessern Kräfte ringen.
Wer selbst nicht weiter ist als du,
Der kann dich auch nicht weiter bringen.
7. Der Verstand ist im Menschen zu Haus,
Wie die Funken im Stein;
Er schlägt nicht von sich selbst hexaus,
Er will herausgeschlagen sein.
8. Nicht der ist auf der Welt verwaist,
Dessen Vater und Mutter gestorben.
Sondern der für Herz und Geist
Keine Lieb' und kein Wissen erworben.
9. Die Natur ist Gottes Buch;
Doch ohne Gottes Offenbarung
Mißlingt daran der Leseversuch,
Den anstellt menschliche Erfahrung.