Full text: Poetische Blumenlese oder Grundlagen für den Unterricht in der Poetik und Litteraturgeschichte

I. Kurzer Abriß der Poetik. 
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Zu Aachen in seiner Kaiserpracht saß König Rudolfs heilige Macht.“ ESchiller.) 
Und tausend Stimmen werden laut.“ (Schiller) 
Der liebliche Chor, der auf den Zweigen sich wiegt.“ (Schiller.) 
Abgemessen knüpften sie drauf an die Wage mit saubern 
Stricken die rasche Kraft der leicht hinziehenden Pferde.“ Goethe.) 
„Du hältst es mit dem Pfluge, ich halt' es mit dem Schwert.“ 
2. Von den Figuren (Redefiguren). 
Fig uren sind bessimmte Schemata (Muster, Formen) der Rede, in denen sich 
ein Gefühl, eine Stimmung oder ein Gedanke krystallisiert — Sie erhöhen nicht wie 
die Bilder die Anschaulichkeit; es sind nur Wort⸗ und Gedankenstellungen welche den 
Ausdruck lebhafter und schärfer machen. Von besonderer Wichtigkeit für die Dichtkunft 
sind folgende Figuren: 
1. Der Ausruf ist eine besondere Art des Ausdruckes die geeignet ist, das Ge— 
fühl des Hörenden in erhöhtem Maße in Anspruch zu nehmen. 
Beispiele: „Pest, Rache, Tod, Vernichtung!“ (Shakesp.) 
„Das ist der Tag des Herrn!“ (Uhland.) 
„Ach! daß du hier liegst auf der Totenbahr'!“ Uhland.) 
„Heil dir, du Held vor allen, 
Du starker Königssohn!“ hland.) 
„Wehe! Weh mir! Welche Töne! 
Wie verführen sie mein Ohr!“ ESchiller.) 
2. Die Frage ist nur dann eine Redefigur, wenn sie der Ausbruch des Affekts 
ist. (Rednerische, rhetorische Fragen 
Beispiele: „Wie groß ist des Almächt'gen Güte! 
It der ein Mensch den e icht eührt?“ Gellert.) 
Wer zählt die Völker, nennt die Namen, 
Die gastlich hier zusammenkamen?“ Echiller.) 
— — — — —Bist du so weise? 
Willst heller sehn als deine edlen Väter, 
Die um der Freiheit kostharn Edelstein 
Mit Gut und Blut und Heldenkraft gestritten?“ Echiller.) 
Ist denn im Schwabenlande verschollen aller Sang, 
Wo einst so hell vom Staufen die Ritterharfe klang?“ (Uhland.) 
Doch wer pubt für mich den Baum?“ (Rückert.) 
3. Die Apostrophe oder Anrede besteht darin, daß der Dichter eine Person oder 
Sache, von welcher er spricht, als eine angeredete auffuührt. 
Beispiele: Lebt wohl, er ihr geliebten Triften, 
Ihr traulich stillen Thäler, lebet wohl. Echiller.) 
er Matten, lebt wohl! 
Ihr sonnigen Weiden!“ ESchiller.) 
Sei mir gegrüßt, mein Berg mit dem rötlich lenden Gipfel! 
Sei mir, Sonne, gegrüßt, die ihn so lieblich n 
4. Die Anaphorg besteht darin, daß mehrere Sätze nacheinander mit demselben 
Worte oder denselben Worten anfangen. — Der Ausdruck gewinnt durch sie an Kraft 
Beispiele: Und immer höher schwoll de 
Und immer lauter schnob der Wind, 
Und immer tiefer sank der Mut.“ GBürger.) 
Es wachet ja sein gutes Pferd, 
Es sein Speer, sein Schild und Schwert, 
Es wacht Roland der junge.“ (Uhland.) 
Meine Töchter sollen dich warten schön; 
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn.“ (Goethe.) 
5. Die Epiphora besteht in der e n von Wortern am Ende der Verse 
oder Sätze; sie bildete sich in der Lyrik zum Refrain aus — Veragleiche: „Hofers Tod“ 
von Mosen, „Das Gewitter“ von Schwab. 
6. Der Klimax (Steigerung) ist diejenige Figur, durch welche der überzeugende 
Gedanke oder der wachsende Effekt durch immer neue, stufenmäßige Verstärkung des 
Wortes oder Bildes ausgedrückt wird. — Die horrekte Steigerung verlangt, daß der
	        
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