Full text: Poetische Blumenlese oder Grundlagen für den Unterricht in der Poetik und Litteraturgeschichte

110 
der Warnung nicht; in seinem Dünkel hielt er die Germanen nicht 
für fähig, den Plan einer Verschwörung anzulegen und zu verfolgen. 
Hermann aber stiftete im Stillen einen Bund zur Vertreibung des 
Feindes. Bald regten sich die Vaterlandsfreunde überall. An eine 
regelmäßige Schlacht im offenen Felde war nicht zu denken. 50,000 
Mann geübter Truppen hatte Varus; die Verbündeten dagegen 
waren ein kleines Häuflein. Sie erregten daher in fernen, schwer 
zugänglichen Gegenden den Aufstand, wo sie die Schluchten der 
Berge zu Bundesgenossen haben konnten. 
Der Teutoburger Wald schien ihnen am geeignetsten dazu. 
Hier brach der Aufstand zuerst los. Varus eilte sogleich mit seinem 
ungeheuren Heere herbei, denselben zu dämpfen. Mit ihm zogen 
viele Germanen, die in seinem Heere dienten, unter diesen auch 
Hermann. Nochmals warnte Segest, nannte alle Verschworene im 
Heere und riech, sie gefangen zu nehmen. Varus hörte nicht, ihn 
blendete die geheuchelte Unterwürfigkeit. Riesige Bäume mußten 
weggeräumt, Brücken geschlagen, Wege gebahnt werden. Langsam 
rückte das Heer vorwärts. Die Verbündeten steckten in dichten 
Wäldern und lagerten auf dem Rücken der Berge. Selbst der 
Himmel trat mit dem Häuflein in Bund. Sturm und Regen führten 
die Gebirgswässer gegen den Feind ins Feld; das Heer löste sich 
unter unsäglichen Anstrengungen in eiirzelne Züge auf, und Viele 
erlagen schon im Kampfe mit der empörten Natur. Als man in 
einer der unheimlichsten Wildniß angekommen war, da traf den 
Varus die unheilvolle Nachricht, daß Hermann mit seinen Deutschen 
das Heer verlassen und sich an die Spitze der Verschworenen ge¬ 
stellt habe. — Sogar Segest's Sohn, der nach dem Willen des 
Vaters die Priesterwürde bei den Römern bekleidete, hatte diese 
verlassen, war in die Heimath geeilt, um an dem ruhmvollen Kampfe 
mit Theil zu nehmen. Die Gefahr erkennend, sah Varus kein anderes 
Rettungsmittel, als sich nach dem Rhein zurückzuziehen. Nachdem 
das hindernde Gepäck verbrannt war, brach er auf. Es war zu 
spät. In einem Engpaß angekommen, ertönte von allen Seiten 
der furchtbare Schlachtgesang der Deutschen ins Thal herab, der 
Wind pfiff eine grause Melodie dazu. Vernichtung war das Losungs¬ 
wort der Germanen, die den Feind immer enger einschlossen. Ueberall 
war Hermann thätig, überall der Erste, der angriff. Drei Tage 
währte der Kampf. Die Befehlshaber fielen, die Adler wurden 
genommen, die Legionen vernichtet. Verzweiflungsvoll hatte Varus 
sich selbst den Tod gegeben. Nur Einzelne entkamen, um dem stolzen 
Rom das Ende der schauerlichen Waldschlacht zu verkünden, die im 
Jahre 9 nach Christi Geburt geschlagen wurde. Ihr haben wir es 
zu danken, daß Deutschland keine römische Provinz wurde, und daß 
noch Deutsch auf Erden gesprochen wird. 
Als die Schreckenspost nach Rom kam, rief der Kaiser Augustus
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.