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117. Die Horalier und Enriatier.
Zwischen Rom und der Mutterstadt Albalonga war Krieg aus¬
gebrochen. Als die beiden feindlichen Heere sich kampfbereit gegen¬
überstanden, forderte der Anführer der Albaner den römischen König
Tullns zu einer Unterredung auf.
„Wir können es uns nicht verbergen," sprach er bei der Zusammen¬
kunft, „daß bloß Eifersucht die beiden benachbarten und verwandten
Völker gegeneinander auf den Kampfplatz führte. Warum wollen
wir uns einander selbst entkräften, und beide geschwächt in die Hände
unserer Feinde fallen? Lieber mag ein unparteiischer Zweikampf ein¬
zelner Männer aus deinem und meinem Heere auf ewig entscheiden,
welches Volk dem andern unterworfen sein soll." Dem Tullns gefiel
der Vorschlag. Beide gingen auseinander, um aus ihren Heeren die
Tapfersten zu diesem Entscheidungskampfe auszusuchen.
Nun dienten damals im römischen Heere Drillingsbrüder, Horatier
genannt, und ebenso im albanischen Drillinge, die Enriatier hießen.
Diese wurden von beiden Seiten auserlesen. Man fragte sie, ob sie
den Kampf für die Herrschaft ihres Volkes ausfechten wollten; und
freudig boten sie sich hierzu an.
Nachdem der Vertrag feierlich beschworen war, griffen beiderseitig
die drei Brüder zu den Waffen. Unter steten Ermunterungen und
Ermahnungen ihrer Mitbürger traten sie zwischen beide Heere in die
Mitte. Hier standen die Römer, dort die Albaner vor ihrem Lager
aufgestellt, voll banger Erwartung über den Ausgang des nahen
Kampfes. Das Zeichen wird gegeben! Da stürzen beiderseits die
drei Jünglinge aufeinander los, und der Kampf beginnt. Es blitzen,
es klirren die Schwerter durcheinander, Schauder durchfährt die Zu¬
schauer. Plötzlich stürzt ein Römer, und über ihn noch ein Römer
sterbend hin. Ein Freudengeschrei erschallt bei ihrem Falle aus dem
albanischen Lager, während die Römer voll Bestürzung keine Hoffnung
mehr zu fassen wagen. Aber schwer verwundet sind alle drei Albaner;
der eine noch übrige Römer hingegen ohne Wunden und frisch' an
Kraft und Mut. Dieser nimmt plötzlich die Flucht und lockt die
anderen, ihn zu verfolgen. So trennt er listig die dreifache Gewalt;
wohl sieht er voraus, daß sie ihm nur so folgen werden, wie es jedem
seine Wunde zuläßt. Nach kurzer Flucht bleibt er stehen und blickt
sich um. Da sieht er seine drei Gegner weit von einander getrennt und
einen schon nahe hinter sich. Auf diesen rennt er mit großem Un¬
gestüm zurück. Und während das albanische Heer den Curiatiern