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123. Aus der Kindheit Kaiser Wilhelms I.
Kaiser Wilhelm I. war der zweite Sohn Friedrich Wil¬
helms III. und seiner edlen und schönen Gemahlin Luise. Er
wurde am 22. März 1797 geboren, also in demselben Jahre,
in dem sein Vater den Thron bestieg. Er war ein schwächliches
51inb, und die Mutter nannte ihn ihr „Angstkind". Trotzdem
tummelte er sich wacker umher, lernte fleißig und gewissenhaft
und übte sich besonders gern als kleiner Soldat. Der Unter¬
offizier Vennstein ließ ihn rechtsum und linksum machen. Ein
stolzer Augenblick in seinem Kinderleben war es, als er sich am
Weihnachtsfeste 1803 seiner Mutter in Husarenuniform vorstellen
konnte. Seine Mutter schrieb über ihn an ihren Vater: „Unser
Sohn Wilhelm wird, wenn mich nicht alles trügt, gerade wie
sein Vater, einfach, bieder und verständig. Auch in seinem Äußeren
hat er die meiste Ähnlichkeit mit ihm." Wie die Mutter, so
war auch der königliche Vater am glücklichsten im Kreise seiner
zahlreichen Kinder. Ost und gern besuchte er die Kinderstube,
spielte mit den Kindern, nahm die kleinsten auf die Arme und
liebkoste sie, zog für alle kleine Gaben aus der Tasche und freute
sich über den Jubel der Kinder. Abends ging er mit der Mutier
noch einmal an alle Kinderbetten, labte sich an dem Anblick der
schlafenden Kinder und küßte sie wohl segnend auf die Stirn.
Bei solcher Sorgfalt und Liebe in der Erziehung mußten die
Kinder gedeihen. Prinz Wilhelm war ein Kind von kaum
10 Jahren, als das schwerste Unglück über Preußen hereinbrach.
Napoleon besiegte die Preußen bei Jena und nahm in kurzer
Zeit das ganze Land ein. Die königliche Familie flüchtete bis
an das nordöstliche Ende des Reiches nach Memel. Sie wollte
lieber in die Hände Gottes, als in die Hände der Menschen
fallen. Oft litt sie die größte Not. Wie oft sah der Knabe
die geliebte Mutter weinen! Wie bangte er um ihr Leben, als
sie todkrank im Wagen flüchtete oder in einer Bauernhütte am
Nervenfieber daniederlag! Ihr treuer Leibarzt Hufeland be¬
richtet darüber: „Bei der heftigsten Kälte, dem fürchterlichsten
Sturme und Schneegestöber wurde sie in den Wagen getragen
und 20 Meilen weit über die kurische Nehrung nach Memel ge¬
bracht. Wir brachten 3 Tage und 3 Nächte, die Tage teils