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Das Mädchen zitterte und bebte vor Angst und Bangigkeit
wie ein Espenlaub, doch blieb sie standhaft, sah sich nicht um, nicht
rechts, nicht links. Als sich aber das zwölfte Zimmer öffnete, strahlte
beiden ein glänzender Lichtschimmer entgegen, es erschallte drinnen
eine liebliche Musik, und es jauchzte überall wie Freudengeschrei,
wie Jubel. Ehe sich die Braut nur ein wenig besinnen konnte,
noch zitternd vom Schauen des Entsetzlichen, und nun wieder dieser
überraschenden Lieblichkeit — tat es einen furchtbaren Donner¬
schlag, also daß sie dachte, es breche Erde und Himmel zusammen.
Aber bald ward es wieder ruhig. Der Wald, die Höhle, die Gift-
tiere, der Bär — waren verschwunden; ein prächtiges Schloß,
mit goldgeschmückten Zimmern und schön gekleideter Dienerschaft
stand dafür da, und der Bär war ein schöner, junger Mann geworden,
war der Fürst des herrlichen Schlosses, der nun sein liebes Bräut-
chen an das Herz drückte und ihr tausendmal dankte, daß sie ihn
und seine Diener, das Getier, so liebreich aus seiner Verzauberung
erlöset.
Die nun so hohe, reiche Fürstin trug noch immer ihren schönen
Nußzweig am Busen, der die Eigenschaft hatte, nie zu verwelken,
und trug ihn jetzt nur um so lieber, da er der Schlüssel ihres holden
Glückes geworden. Bald wurden die Eltern und ihre Geschwister
von diesem freundlichen Geschick benachrichtigt und wurden für
immer, zu einem herrlichen Wohlleben, von dem Värenfürsten auf
das Schloß genommen. Ludwig Bechstein.