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Stabe oder wohl auch mit einem Strickzeuge in der Hand. Neunter
umkreist der Schäferhund die Herde. Bald ist er hier, bald dort.
Jetzt läuft er nach vorn; nach wenig Augenblicken eilt er wieder
zurück. Wie genau hat er aufzupassen, daß alles in guter Ordnung
zugeht! Nichts darf seinem Blicke verborgen bleiben. — Ein Lämmchen
will sich vom rechten Wege verlieren; rasch springt der Hund hinzu,
ohne weiter zu drohen, und das kleine Tier kehrt schnell wieder zu
den übrigen zurück. An einer andern Stelle läuft ein Schaf auf
den Gemüseacker und will sich, als der Hund naht, nicht bequemen,
ihn zu verlassen. Da muß dieser denn gar böse thun und es mit
Bellen zum Gehorsam bringen. Einen alten, starken Schafbock aber,
der störrig ist und nicht von der Stelle will, muß er gar beißen.
Der Trotzkopf muß ja wissen, wen er vor sich hat, und was er zu
thun hat!
Ein rechter, wohlerfahrener Schäferhund braucht solche Drohungen
und Strafen nur selten anzuwenden; er weiß sich auch ohne diese den
nötigen Respekt zu verschaffen. Ernst und würdig schaut er auf die
Herde; man sieht es ihm an, daß er gar wohl weiß, welch ein wich¬
tiges Amt er führt. — Die Herde betritt ein Stoppelfeld, auf dem
noch einzelne Fruchthaufen übrig geblieben sind. Ohne einen Laut
von sich zu geben, stellt der Hund sich daneben und läßt die ganze
Herde vorüberwandeln. Ebenso ruhig und umsichtig beschützt er die
Gemüseäcker, an denen seine Untergebenen vorüberziehen. Man sieht
es den Schafen an, daß sie wohl wissen, welcher strenge Meister über
sie wacht. Da ist kein starrköpfiges Schaf, das aus der Reihe springt;
selten will einmal ein kleines, unerfahrenes Leckermaul über die Grenze
wegnaschen. Aber es ist auch kein Tier der Herde, alt wie jung,
welches vor dem lockigen Gesellen zurückschreckte oder gar angstvoll die
Flucht ergriffe. Ruhig und stetig, wie an einer Schnur geleitet,
zieht die Herde durch die Flur dahin. Wenn sie still hält und sich
lagert, umstehen Gruppen von Schafen den Hund, als ob er ihres¬
gleichen wäre.
Sind nachts die Schafe in ihren Hürden, und schläft der Schäfer
in seinem zweiräderigen Karren, so muß der Hund auch jetzt wachsam
bleiben. Der leiseste Tritt eines über den Feldweg Wandernden weckt
ihn aus dem Schlafe. Bei dem geringsten Luftzuge wittert seine
scharfe Nase das feindliche Tier, das sich an die Herde heranschleicht.
Laut ertönt sein Bellen, und mutig tritt er den zwei- oder vierbeinigen
Räubern entgegen.