235
7. Nur bei einer Gelegenheit blieb er taub auch gegen ihr
innigstes Flehen. Nichts reizte nämlich seine Neugier so wie die
Puppen der Mädchen. Hatte er eine erwischt, und war es ihm
gelungen, sich zu befreien, so verschwand er schnellstens damit in
irgendeinen unzugänglichen Winkel. Erst herzte und küßte er das
Puppenkind, wie er es bei den Mädchen gesehen hatte, wiegte
es in den Schlaf und versuchte es zu füttern. War ihm das lang¬
weilig geworden, so ging's an ein genaues Untersuchen. Die
schönen Locken waren bald ausgerissen, die Augen ausgekratzt;
dann zog er die Puppe aus, untersuchte die Kleider Stück für
Stück und trieb seine Possen damit, ehe er sie zerriß und achtlos
fallen ließ. Mit dem nackten Puppenkörper stellte er dann noch
allerlei Versuche an, drehte Arme und Beine um und bohrte mit
Wonne Löcher in den Körper, denn die herausrieselnde Kleie
machte ihm großen Spaß.
8. Ihr könnt euch denken, was für ein Jammergeschrei das
Haus durchschallte, wenn die armen Puppenmütter sehen mußten,
wie ihre Kinder so grausam gemordet wurden. Unten standen
sie und riefen und flehten unter Strömen von Tränen; oben
saß er und warf ihnen grinsend die Fetzen herab. Sie lockten
ihn mit Apfelsinen; doch geringschätzig guckte er auf sie herab.
Erst wenn das Püppchen völlig zerstört war, warf er den leeren
Balg achtlos herunter. Im Bewußtsein seiner schlechten Tat
zog er es indessen vor, längere Zeit unsichtbar zu bleiben; erst
später erschien er wieder, und zwar mit der unschuldigsten Miene,
als sei gar nichts geschehen. Natalie Ey.
172. Graf Eberhards Weißdorn.
1. Graf Eberhard im Bart
Vom Württemberger Land,
Er kam auf frommer Fahrt
Zu Palästinas Strand.
2. Daselbst er einsmals ritt
Durch einen frischen Wald;
Ein grünes Reis er schnitt
Von einem Weißdorn bald.
65
70
75
80
85