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mundeten jungen Soldaten. Der war infolge eines Schlafpuloers
eingeschlummert und hatte fein Taschenbuch auf dem Bette offen
liegen lassen. Um den armen Verwundeten nicht zu stören, trat
der Kaiser leise hinzu, nahm den neben dem Taschenbuch liegen-
10 den Bleistift und schrieb die wenigen Worte hinein:
„Mein Sohn, gedenke deines treuen Königs!
Wilhelm."
Der Soldat erwachte, und reiche Tränen perlten ihm beim
Anblick dieser Zeilen aus den Augen.
15 3. Wenige Tage darauf besuchte der Kaiser wiederum das
Lazarett und trat sofort auf unsern Soldaten zu, drückte ihm
freundlich die Hand und tröstete ihn. Der war jedoch schon vom
Tod als sichre Beute erlesen; wachsbleich mit halb gebrochnen
Augen starrte er ins Leere. Aber kaum hatte er seinen König
20 erkannt, als er sich mit der letzten Kraft seines Körpers empor¬
richtete, den König mit leuchtenden Augen anblickte und sagte:
„Majestät, ich werde Ihrer ewig gedenken, auch dort oben.
Amen." Dann sank er ermattet zurück, und ein leises Röcheln
verkündete, daß er ausgelitten hatte. Der Kaiser trat hinzu,
25 drückte ihm sanft die Augen zu, und eine Träne rollte dem
greisen Fürsten in seinen weißen Bart. m „icha-d L-uxm-nn.
236. Die zwei Veteranen.
1. Zu der Kaiserparade, die in den Septembertagen des
Jahres 1885 bei Ludwigsburg stattfand, waren die Landleute
von nah und fern gekommen; alt und jung wollte so gern das
Angesicht des geliebten kaiserlichen Herrn sehen. Unter diesen
5 Getreuen befand sich auch ein greiser Veteran von 93 Jahren,
der sich einst in den Befreiungskriegen das Eiserne Kreuz erkämpft
hatte. Auch ihm ließ es keine Ruhe, er mußte hin zur Kaiser¬
parade, er mußte seinen obersten Kriegsherrn sehen. Nun setzt
sich ein solcher Greis nicht auf ein schnelles Roß, das ihn zum
10 Ziele trägt, auch traut er seinen eignen Füßen keinen, weiten
Marsch mehr zu. Doch getreue Freunde heben ihn auf einen
Wagen, und nun geht's vorwärts.