Full text: Für Klasse VIII und VII (2tes und 3tes Schuljahr) (Teil 1, [Schülerband])

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20. Der Weihnachtsabend. 
Eines Tages, kurz vor dem Weihnachtsabende, plauderte die 
kleine Karoline mit Minchen. Karolinens Eltern waren reiche Leute, 
die viel Geld, ein schönes Haus und Wagen und Pferde besaßen; 
5 Minchens Eltern aber waren arm und wohnten in einer kleinen Hütte. 
„Minchen," sagte Karoline, „morgen ist Weihnachten, und da 
bringt mir der heilige Christ viele, viele wunderschöne Sachen: 
Kleider und Hüte und Spielzeug eine ganze Menge. Weißt du 
denn, was er dir bringen wird?" 
io „Ach! mir wird er wohl nichts schenken," sagte Minchen traurig; 
„mein Vater ist arm und hat kein Geld, also kann er mir keine 
Freude machen. Wenn du und andere Kinder um den Weihnachts¬ 
baum herumtanzen, auf dem so viele Lichter brennen, dann muß ich 
zu Hause in der dunklen Stube sitzen und habe nichts, worüber ich 
15 mich freuen könnte." 
Minchen sah so traurig aus, daß Karoline recht Mitleiden mit 
ihr hatte und sich heimlich vornahm, ihr eine Freude zu machen. 
Denn Minchen war immer gut und freundlich und hatte Karo¬ 
line lieb. 
20 Als nun der Weihnachtsabend kam, wurde Karoline von ihren 
Eltern reich beschenkt. Sie jubelte und tanzte und freute sich; aber 
in ihrer Freude dachte sie doch an Minchen, die jetzt zu Hause gewiß 
recht betrübt war. Sie fiel ihrer Mutter um den Hals und sagte: 
„Liebes Mütterchen, du hast mir heute so viele schöne Sachen ge- 
25 schenkt, mehr als ich verdiene. Ich danke dir herzlich dafür. Aber 
nun habe ich noch eine große Bitte. Minchen sagte mir gestern, ihr 
Vater wäre so arm und könnte ihr nichts geben; erlaubst du mir 
wohl, daß ich ihr von meinen vielen Geschenken etwas hinübertrage, 
damit sie sich auch ein wenig freuen könne?" 
30 „Gern, recht von Herzen gern erlaube ich es dir," sagte die 
Mutter und küßte das gute Kind. „Suche dir aus, was du willst, 
und schenke es Minchen." 
Da nahm Karoline ein wunderschönes Kleidchen und eine nied¬ 
liche Mütze, legte beides in einen Korb, that noch Nüsse, Äpfel und 
35 Pfefferkuchen dazu und trug es selber Minchen hin. Ach, da hättet 
ihr die Freude sehen sollen, die Minchen hatte! Sie war ganz un¬ 
beschreiblich. Karoline aber ging fröhlich nach Hanse und war noch 
nie so glücklich gewesen wie heute. Friedrich Hoffmann.
	        
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