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Vorher hatten sie kaum daran gedacht. Da saßen Elise, Alexan¬
der und Marie oft den ganzen Vormittag, ehe sie ordentlich an¬
gezogen wurden; denn der Vater hatte notwendige Geschäfte
außerhalb des Hauses, und das Dienstmädchen war ebenfalls mit
Arbeiten beschäftigt, die sich nicht aufschieben ließen. Das Früh¬
stück, das Mittagbrot und das Abendessen kamen selten zu
rechter Zeit; denn niemand wußte alles so gut anzuordnen und
einzurichten wie die Mutter. Niemand wußte so genau, wo jede
Sache aufgehoben war; und im ganzen Hause war eine Unord¬
nung und eine Unruhe, die alle bemerkten. Selbst der Vater war
nicht imstande, das zu verhüten, so sehr er sich auch um alles
bekümmerte; und überdies war er auch so traurig und nieder¬
geschlagen. — Wenn die Kinder sonst etwas haben oder etwas
wissen wollten, so wandten sie sich gleich an die Mutter, - aber
an wen sollten sie sich jetzt wenden? Der Vater hatte entweder
für die Mutter zu sorgen oder mit seinen andern Arbeiten zu tun,
und das Dienstmädchen nahm sich ihrer sehr wenig an.
Da wünschten nun die Kinder herzlich, daß die liebe Mutter
bald, bald wieder gesund werden möchte. Elise schlich an das
Bett und fragte leise: „Was machst du, Mutter?“ Alexander saß
ganze Stunden an einem Orte ganz still, und Marie nahm ihr
Stühlchen, trug es ans Bett der Mutter hin, setzte sich darauf,
legte ihr Köpfchen auf das Bett und fragte: „Stehst du bald
wieder auf, liebe Mutter?“ - Die Mutter konnte nur wenig ant¬
worten, so schwach war sie. - Sie streichelte und liebkoste die
Kinder mit ihrer matten Hand und sah sie traurig an.
Eines Tages war die Mutter kränker als sonst; der Vater
war viel betrübter, und der Arzt hatte bedenklich den Kopf ge¬
schüttelt. Da ließ Frau Werner ihre Kinder ans Bett kommen
und sagte mit schwacher Stimme: „Kinder, ich werde vielleicht
sterben, und dann wird euch niemand wieder so lieb haben wie
ich, ausgenommen der Vater. Ach! seid folgsam und lernt alles
Gute und tut niemals etwas Böses und denkt fleißig an Gott, der
nur die guten Menschen lieb haben kann. Versprecht mir das,
Kinder!“
Die Mutter streckte ihre Hand aus, indem sie das sagte. Die
Kinder drängten sich an die gute Mutter heran, benetzten ihre
liebe Hand, die sie so oft gepflegt hatte, mit ihren heißen Tränen
und konnten vor lautem Schluchzen kein Wort sprechen. Viel
trauriger als die übrigen Tage ging dieser Tag den Kindern vor¬
über. Mehrere Male kam der Arzt, befühlte den Puls, ob sich