Full text: (Für die 1. Vorschulklasse) (Teil 2, [Schülerband])

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Preußen schlagfertig stehen sahen. Weder Pferd noch Kuh, weder 
Milch noch Brot gab es in unserm Dörfchen mehr. Fast in jeder 
Nacht hörten wir die Kanonen donnern, und mit jedem neuen Morgen 
stellte sich auch neues Elend und neuer Jammer für uns ein. 
Einst hatten wir wieder die ganze Nacht hindurch schießen ge¬ 
hört. An ein Zubettgehen war gar nicht mehr zu denken, weil man in 
jeder Nacht horchen mußte, ob die Flamme nicht schon im Dachgiebel 
knisterte. Eben hatte ich mein Morgenläuten besorgt und guckte 
zum Schallloche hinaus, um zu schauen, was uns an dem schrecklichen 
Tage wieder bevorstehen könne. Zum Himmel blickend und Gott 
dankend, zog ich mein Mätzchen vom Kopfe, da mir alles ganz ruhig 
schien. Ehe ich es jedoch wieder aufgesetzt hatte, jagte ein alter 
schwarzer Husar zum Kirchhofe herein, sprang vom Pferde und band 
seinen Braunen an meinen Fensterladen. Wie mir zu Mute ward, 
kann man sich leicht vorstellen. Ich flog mehr, als ich ging, die 
Turmtreppe hinunter. Er aber ließ mir nicht einmal Zeit, meinen 
„guten Morgen!" anzubringen, sondern rief mir barsch zu: „Geb er 
mir den Kirchenschlüssel, Schulmeister!" Ich erschrak; denn obgleich 
das bißchen Kirchenvermögen und der vergoldete Kelch mit der Hostien¬ 
schachtel in Sicherheit gebracht waren, so befand sich doch noch eine 
ziemlich reiche Altarbekleidung mit Tressen in der Kirche. Ich legte 
mich auf Bitten und Vorstellungen; allein der alte Kriegsmann wollte 
davon nichts wissen. Er sah mit einer so ganz eigenen Manier bald auf 
mich, bald auf seinen Sübelgriff, daß ich, um Unglück zu verhüten, 
voran ging, um die Kirchthür zu öffnen. Meine Frau, die hinter der 
Hausthür gehorcht hatte, kam aus Besorgnis um mich von freien 
Stücken hinter uns her. 
Der Husar drängte sich in der Halle hastig voran, ging an der 
Sakristei und dem Altar vorüber und schritt, so schnell es sein Alter- 
erlaubte, klirr! klirr! die Chortreppe hinauf. Hier setzte er sich atem¬ 
schöpfend auf eine Bank rnrd rief mir gebieterisch zu: „Schulmeister, 
mach er die Orgel auf, und geb er mir ein Gesangbuch!" — Ich 
that augenblicklich, was er verlangte; meine Frau mußte die Balgen 
ziehn. Der Husar hatte ein Lied aufgeschlagen und sagte nun in 
einem weit milderen Tone: „Wie schön leuchtet der Morgenstern! 
Spiel er das, lieber Schulmeister, aber so recht fein und ordentlich, 
er versteht mich wohl!"
	        
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