Full text: (Für die 1. Vorschulklasse) (Teil 2, [Schülerband])

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Ich spielte nach Herzenslust. Nach geendetem Vorspiel fiel der 
Husar mit seiner tiefen Baßstimme ein; meine Frau hinter der Orgel 
und ich thaten ein Gleiches. Mein Herz wurde so mutig, daß ich 
mich oft nach meinem Zuhörer umschaute und ihm ganz dreist in 
das Gesicht sah. Er sang mit großer Andacht, hatte die Hände ge¬ 
faltet, und die hellen Thränen fielen über den eisgrauen Knebelbart 
auf das Buch hinab. Jetzt war das Lied beendet. Ich ging auf ihn 
zu; er schüttelte mir recht treuherzig die Hand und sprach: „Großen 
Dank, Herr Kantor! Wo ist der Gotteskasten?" 
2. Mein früherer Argwohn, daß es auf Plünderung abgesehen 
sei, war nun gänzlich verschwunden. Ich holte unsere Armenbüchse, 
und der Husar warf ein Achtgroschenstück hinein. „Wir beide aber, 
wir teilen den Nest, Herr Schulmeister!" sagte er dann, indem er 
noch zwei Achtgroschenstücke aus der Tasche zog; „da nehm er das 
für seine Mühe!" Ich schlug es aus; aber er war so ungestüm, daß 
ich es schlechterdings nehmen mußte. „Nehm er, nehm er," sprach 
er; „es klebt kein Blut daran!" — Jetzt verließ er das Gotteshaus, 
und wir begleiteten ihn. Sowohl meine Frau als auch ich waren 
unglaublich bewegt. Ich konnte mich aber nicht enthalten, unsern 
wunderbaren Gast auf dem Kirchhofe zu fragen, wie ihm denn der 
Gedanke gekommen sei, hier seine Morgenandacht zu halten. 
„Das will ich euch wohl sagen, ihr lieben Leute," antwortete er, 
indem er uns beide bei der Hand nahm. „Gestern Abend sollte ein 
verlorener Posten ausgestellt werden, um mitten unter den umher¬ 
schweifenden Patrouillen den Feind auf einem gewissen Punkte zu 
beobachten. Jeder von uns wußte, was die Sache auf sich hatte. 
Unser Rittmeister fragte nach Freiwilligen; niemand bezeugte Lust. 
Endlich ritt ich vor, und meine drei Jungen konnten ja wohl den 
alten Vater nicht allein lassen. — Er braucht es nicht zu wissen, 
Herr Schulmeister, wie wir es anfingen; — genug, wir schlichen uns 
durch und hielten die ganze Nacht auf einer buschigen Anhöhe. Links 
und rechts blitzte es um uns her; wir sahen bald hier, bald dort 
feindliche Mannschaften. Nicht meinetwegen — denn wie lange werde 
ich noch reiten? — sondern nur wegen meiner Sühne senfzte ich in 
der finstern Nacht: Herr, erhalte uns! 
Kaum hatte ich es heraus, als es anfing zu dämmern, und der 
Morgenstern mir ins Auge blitzte. Wie schön leuchtet der Morgen- 
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