Full text: (Für die 1. Vorschulklasse) (Teil 2, [Schülerband])

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er das mit Vergnügen thun wolle. Er stellte seinem Gaste frei, 
selber dasjenige zu wählen, welches ihm die grüßte Freude machen 
konnte. 
Wenn man die Wahl hat, sich selber ein Geschenk von jemand 
auszusuchen, so erfordern Verstand und Artigkeit, daß man nicht 
gerade das vornehmste und kostbarste wegnehme. Daran schien 
dieser Mann auch zu denken, denn er wühlte unter allen Gemälden 
fast das schlechteste. Aber das war unserm schlesischen Edelmanne 
nicht lieb, und er hätte ihm gern das kostbarste dafür gelassen. 
„Mein Herr Oberst," so sprach er mit sichtbarer Unruhe, „warum 
wollen Sie gerade das geringste wählen, das mir noch dazu wegen 
einer andern Ursache wert ist? Nehmen Sie doch lieber dieses hier 
oder jenes dort!" 
Der Offizier gab aber darauf kein Gehör, schien auch nicht zu 
merken, daß sein Hauswirt immer mehr und mehr in Angst geriet, 
sondern nahm geradezu das gewählte Gemälde herunter. Jetzt er¬ 
schien an der Mauer, wo dasselbe gehangen hatte, ein großer feuchter 
Fleck. „Was soll das sein?" sprach der Offizier, wie erzürnt, zu 
seinem todblassen Wirte. Dann that er einen Stoß, und auf einmal 
fielen ein paar frisch gemauerte und übertünchte Backsteine zusammen, 
hinter welchen alles Geld sowie Gold und Silber des Edelmannes 
eingemauert war. 
Der gute Mann hielt nun sein Eigentum für verloren; wenig¬ 
stens erwartete er, daß der feindliche Kriegsmann eine namhafte Tei¬ 
lung vornehmen werde. Er ergab sich geduldig darein und verlangte 
nur von ihm zn erfahren, woher er habe wissen können, daß hinter 
diesem Gemälde sein Geld in der Mauer verborgen war. Der 
Offizier erwiderte: „Ich werde den Entdecker sogleich holen lassen, 
dem ich ohnehin eine Belohnung schuldig bin." Zn kurzer Zeit brachte 
sein Bedienter — sollte man es glauben — den Maurermeister 
selber, den nämlichen, der die Vertiefung in der Mauer zugemauert 
und die Bezahlung dafür erhalten hatte. 
Das ist nun einer von den größten Spitzbubenstreichen, die der 
Satan auf sein Sündenregister setzen kann. Denn ein Handwerts¬ 
mann ist seinen Knuden die größte Treue — und in Geheimnissen, 
wenn es nichts Unrechtes ist, so viel Verschwiegenheit schuldig, als 
wenn er einen Eid darauf geleistet hätte.
	        
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