Alle standen sogleich auf und wendeten die Taschen um,
ohne dass die Dose zum Vorschein kam. Nur ein Fähnrich blieb
in -sichtbarer Verlegenheit sitzen und sagte: „Ich wende meine
Taschen nicht um. Mein Ehrenwort, dass ich die Dose nicht habe,
muss genügen!“ Die Offiziere gingen kopfschüttelnd auseinander,
und hielten ihn für den Dieb.
. Am andern Morgen liess ihn der Oberst rufen und sprach:
„Die Dose hat sich wiedergefunden. Es war in meiner Tasche
eine Naht aufgegangen, und da fiel sie zwischen dem Futter hinab.
Nun sagen Sie mir aber, warum Sie Ihre Taschen nicht zeigen
wollten, was doch alle übrigen Offiziere gethan haben!“ Der
Fähnrich sprach: „Ihnen, Herr Oberst, will ich es gern bekennen.
Meine Eltern sind arm. Ich gebe ihnen daher meinen halben Sold
und esse oft mittags nichts Warmes. Als ich bei Ihnen zu Tische
geladen wurde, hatte .ich mein Mittagessen bereits in der Tasche.
Ich hätte mich schämen müssen, wenn beim Umwenden der Taschen
ein Stück schwarzes Brot und eine Wurst herausgefallen wäre.“
Der Oberst sagte gerührt: „Sie sind ein sehr guter Sohn!
Damit Sie aber Ihre Eltern desto leichter unterstützen können,
sollen Sie nun täglich bei mir speisen.“
Er lud alle Offiziere seines Regiments zu einem festlichen
Gastmahle ein und bezeugte vor ihnen allen die Unschuld des
braven Fähnrichs. Zum Beweise seiner besonderen Hochachtung
überreichte er ihm die goldene Dose als Geschenk.
Werner Werther.
39. Kindesliebe.
Ein preussischer Offizier, der sehr reich und aus vornehmer
Familie war, hielt sich eine Zeit lang als Werber in Ulm in
Schwaben auf. Endlich bekam er Befehl, zu seinem Regimenté
zurückzukehren, und machte sich reisefertig.
Am Abend vor seiner Abreise meldete sich bei ihm ein junger
Mann, um sich anwerben zu lassen. Er war gut gewachsen,
schien wohl erzogen und brav; aber als er vor den Offizier trat,
zitterte er an allen Gliedern.
Der Offizier schrieb dies der jugendlichen Furchtsamkeit zu
und fragte, was er besorge. „Ich fürchte, dass Sie mich abweisen,“