238
2. Sie reitet tu wallendem Kleide,
ihr Auge blitzt hell und klar,
es funkelt ihr reiches Geschmeide,
es flattert im Winde ihr Haar.
3. Daß keiner fein Glück versäume,
ihr Schläfer im Garten erwacht!
Frau Holle segnet die Bäume
zn neuer Blütenpracht.
4. Sie naht und ist verschwunden,
ist gleich dem Glück auf der Flucht;
und wen sie schlafend gesunden,
der trägt nicht Blüte noch Frtlcht.
I. Sturm.
57. Das Schneeglöckchen.
Alle Blumen schlafen noch in der Erde, auch das Schneeglöckchen,
denn oben auf der Erde hat noch der Winter sein strenges Regiment.
Da kommt über Nacht heimlich der Frühling herangeschritten. Vor
seinem warmen Hauche fängt der Schnee an zu schmelzen. Ganz leise
klopft er an des Schneeglöckchens Häuschen, weckt cs auf und flüstert
ihm zn: „Steh auf, mein Blümchen, du sollst mein Bote sein an die
Menschen. Dein schneeweißes Glöckchen sollst du droben läuten, damit
sie alle wissen, daß ich komme!" — „Aber, lieber Frühling." sprach
das Schneeglöckchen, „der Winter ist ja noch auf der Erde, und es
ist noch so rauh und kalt dort oben. Muß ich armes Blümchen da
nicht erfrieren?" — „Thue, was ich dir sage," antwortete der Frühling;
„gute Kinder gehorchen gern!"
Das Schneeglöckchen gehorchte der Stimme des Frühlings. Es
reckte seine Blütenstengelchen, bohrte seine spitzen, schmalen Blätter
durch die harte Erde und den kalten Schnee und kam ans dem Boden
hervor. Es war noch ganz allein. Alle andern Blumen schliefen
noch, und die Bäume und die Hecken standen kahl da, denn die
Sonnenstrahlen wärmten nur wenig. Da kam der Frühling daher,
wieder ganz heimlich, hauchte das Blümlein an und sagte: „Der kalte
Schnee und die rauhe Luft sollen dir nicht schaden; du sollst darum
nur desto herrlicher blühen."