Full text: Lesebuch für Mädchenfortbildungsschulen und ähnliche Anstalten

Deutsches Land und Volk. 329 
alle Armeen der Welt, auch die englische und französische, ihre blanken Waffen 
aus Solingen beziehen. 
4. In etwas anderer Beziehung ist das benachbarte Remscheid, eine in einer 
an schönen Bergpartieen reichen Gegend liegende wohlgebaute Stadt, bedeutend ge¬ 
worden. Die in und um die Stadt fließenden achtzehn Bäche sind mit Hämmern 
und Werken ganz besetzt, so daß es an Platz für neue Anlagen fehlt. Die Werk¬ 
zeugfabrikation hat hier ihre Hauptstätte; unzählige Geräte werden hier gearbeitet, 
Senfen, Sicheln, Strohmesser, Sägen, von den größten Mühlsügen bis zu den 
feinsten, alle Arten von Wirtschafts- und Haushaltnngsgerüten, von Werkzeugen für 
Maurer, Zimmerleute, Tischler, Böttcher, Drechsler, Bildhauer, Wagner, Schlosser, 
Uhrmacher, Gold- und Silberarbeiter u. s. w. Säbelscheiden und -griffe, Sporen, 
Gebisse, Steigbügel, Schlittschuhe, Winden, Ambosse, Äxte, Beile, Plantagengerüte, 
wie Zuckerrohrmesser, Ackergeräte, wie Pflugscharen, Spaten, Schaufeln, Hacken und 
vieles andere. Durch Dampfhammer und Kaliberwalze erhält das Eisen feine 
Form; für die Handarbeit bleibt hier nur wenig zu tun. — 
Von Remscheid brauchen wir nicht weit zu gehen, so gelangen wir bei der 
Stadt Essen zu der Gußstahlfabrik von Friedrich Krupp, zur größten Fabrik der 
Welt; denn weder an Ärbeiterzahl noch an Leistungen oder Geschäftsumsatz kaim 
irgend eine Fabrik, auch in England nicht, sich ihr an die Seite stellen. 
Daniel Bolz, Das deutsche Land. 
174. Heideleben. 
1. Einfach und groß wie die Wüste und wie das Meer ist die Heide, und 
gleich gewaltig wie jene ergreift sie die Seele. Lieblich und anmutig ist das 
Antlitz der Natur hier nicht, sondern ernst und streng, aber dennoch liegt 
eine warme, tiefe Heiterkeit über dem Ernst gebreitet. Der braune, ja oft 
rosenrote Schimmer, der das Grau der Fläche überfliegt, sodann das summende 
zirpende Treiben, das rührige Leben der Insekten um uns, hält den Eindruck 
der Wüste weit entfernt und zieht uns vertrauenerweckend an. Wir sind zur 
günstigen Zeit gekommen. Die Heide, die Charakterpflanze, die der ganzen 
Landschaft den Namen gegeben hat, steht in Blüte. Sie, die durch ihre 
grauen holzigen Stengel den größten Teil des Jahres die Landschaft in Grau 
kleidet, sie überhaucht diesen auch jetzt noch vorhandenen Grundton durch 
den energischen Glanz ihrer zahllosen, wenn auch kleinen Blüten mit einem 
kräftigen, belebenden Braun, sie erzeugt auch durch ihre köstliche Gabe, den 
Nektar ihres Kelches, dieses schwirrende, surrende, gaukelnde Insektenleben, 
das fast nirgends sonst in unsern Breiten eine so eifervolle, hastende Tätig¬ 
keit entfaltet wie hier. 
Wir wandern weiter. Siehe, da kräuselt in der Ferne sich lustig — 
täuschen wir uns nicht — eine blaue Rauchsäule hinan. Ist es ein gastlicher 
Herd, oder nur ein still verglimmender Erdbrand? Das Geläut einer Blech¬ 
glocke, das eintönig und dennoch nicht unmelodisch daher klingt, löst den 
Zweifel. Wir sind einer Heidschnuckenherde nahe. Und allerdings hat dieser 
„Negerstamm unter den Schafen“, klein, schwarz an Kopf und Füßen, eine 
gewisse Behendigkeit vor dem trägblökenden, fettschwänzigen Zuchtschafe 
voraus; sein frisches Auge, seine emporschnellenden, possierlichen Sprünge 
erinnern, um nicht zu sagen an das Reh, doch an die Ziege, wie denn auch 
seine Wolle ziegenartig straff ist, so daß sie einst ein Leipziger Kaufherr für 
Hundshaare erklärte. In munteren Gruppen bewegen sie sich um den 
,.Master“, den Hüter der Herde. 
2. Diese Schäfer bilden fast die einzige menschliche Ausschmückung der 
Heide, und es läßt sich nicht leugnen, daß das einsiedlerische Nomadenleben 
derselben, welches sie, wenn auch in engem Kreise, wandernd von Weide zu 
Weide führt, gleichsam aus der nüchternen Ordnung des übrigen Lebens sich 
bewegt und in vollem Einklänge steht mit der einsamen Poesie dieser Natur.
	        
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