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Deutsches Land und Volk.
ein sicheres Zeichen, daß eine bestimmte Person im nächstfolgenden Jahre
stirbt, gilt es, wenn bei dem Anbrennen des ersten Lichtes am Heiligabend
der Schatten dieser Person ohne Kopf erscheint. Als ein Vorzeichen von
Unglück wird es betrachtet, wenn die erste Nuß, die jemand am Heiligabend
öffnet, taub ist. Auch soll an diesem Tage nichts verborgt werden.
Die Nacht vom Heiligenabend zum ersten Weihnachtsfeiertage schlafen
viele in der Wohnstube und zwar auf der mit Stroh belegten Diele. Das
Belegen des Fußbodens in Flur und Stube ist sehr verbreitet. Es mag dies
einerseits auf die Geburt des Heilandes im Stalle hinweisen sollen, anderer¬
seits aber wohl auch die Abhaltung der Winterkälte bezwecken. Idealismus
und Eealismus sind auch bei dem Schlafen im Wohnzimmer eng gepaart.
Denn ist es einmal eine Nachahmung der Äußerlichkeiten, die die heilige Fa¬
milie im Stalle zu Bethlehem umgaben, so ist es andererseits die Maßregel
zum zeitigen Erwachen am ersten Feiertag.
5. Am letzterwähnten Tage werden nämlich die sogenannten Weihnachts¬
metten, ein Frühgottesdienst, der bereits um fünf Uhr morgens beginnt, ab¬
gehalten. Mit einem Lichte versehen, zieht groß und klein, in besonders
reicher Zahl natürlich die Kinderwelt, zu dem im Kerzenglanze strahlenden
Küchlein, auf dessen Altarplatz an diesem Morgen zwei große Tannenbäume
mit Kerzen reich besteckt prangen. Und bis in die entlegenste Ecke des
Gotteshauses strahlt Lichtlein an Lichtlein, steht Kopf an Kopf. In manchen
Kirchen, wie z. B. in Schneeberg, gestaltet sich das Bild durch die in corpore
erschienenen Bergleute in ihrer kleidsamen Tracht noch abwechselungsreicher.
Die größte Aufmerksamkeit lenkt die während des Gottesdienstes gesungene
„Weissagung“ auf sich, deren Text die Bibelstelle Jesaias 9, Vers 2 bis 7
bildet, und der die Worte: „Höret an von Christo die Weissagung des Pro¬
pheten Jesaias im 9. Kapitel“ vorgesetzt sind. In manchen Orten sind die
diesen Gesang vortragenden Kinder wie Engel gekleidet, in anderen Orten
wieder sind die Sänger auf verschiedenen Plätzen in der Kirche aufgestellt
und singen dann reihum strophenweise abwechselnd.
An den Abenden der Weihnachtsfeiertage und an mehreren darauf fol¬
genden Tagen werden in verschiedenen Orten die sogenannten Weihnachts¬
oder Christspiele aufgeführt. In diesen von Laien ausgeführten Vorstellungen
wird eine dramatisierte Geburtsgeschichte des Heilandes gegeben. Jahr
für Jahr üben sie ihre Anziehungskraft aufs neue aus und bringen die gute
Sache, der der Reinertrag in der Regel zufließt, jedes Jahr einen tüchtigen
Schritt vorwärts. In den siebziger Jahren noch gab es Gesellschaften, die
aus diesen Vorführungen einen Erwerb machten und in der Weihnachtszeit
von Ort zu Ort zogen. Die neueren Gewerbegesetze haben jedoch diese Art
der Aufführung beinahe beseitigt, da für sie ein Wandergewerbeschein ver¬
langt wird, den man der vielen damit verbundenen Umstände wegen nicht
gern beschafft. In den Städten Aue und Lößnitz, sowie in vielen anderen
Orten noch, weiden die Christspiele aber doch nach wie vor alljährlich
aufgeführt.
Wenn die hehren, weihevollen Klänge der Weihnachtsglocken in den
stillen Waldtälern verhallen oder zu den vom Schnee hochumhüllten und mit
Eis reichbehangenen Tannen und Buchen auf den Bergesspitzen hinauf ziehen,
dann zieht Glück und Frieden auch in die niedrigsten Hütten des Erzgebirges
ein, dann tönt dort allerwärts aus vollem Herzen, wie es inniger nirgends
geschehen kann, immer und immer wieder durch die abendliche Stille:
0, du fröhliche, o, du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!
H. v. Königswalde, Daheim.
182. Thüringens Gewerbfieiß.
1. Thüringens Gewerbfieiß! Welch eine Flut menschlichen Sinnens und
Traä)tens, welch eine ungeheure Summe rastlosen Arbeitens und Ringens umfassen