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Zweiter Teil. In Dorf und Heimat. 
innern, und auf dem hohen Westerwald ist schließlich überhaupt der¬ 
gleichen nichts mehr zu finden, höchstens in den zahlreichen kleinen 
und kleinsten Grten die moosbedeckten, vielfach sehr alten, merk¬ 
würdigen Westerwälder Häuser und die noch viel älteren Kirchen. 
Auch der Wald verschwindet nach oben immer mehr- nur die sog. 
Schutzgehege erinnern daran- das sind Tannenwaldstreifen von 5 bis 
10 m Breite, die die Dörfer und ihre Ackerfluren vor der Gewalt 
der Stürme zu schützen bestimmt sind. Dazwischen dehnen sich die 
Triesche, auch himmelswiesen genannt (weil ihnen nur die pflege 
des Himmels zuteil wird), und die weiden, die hier ihr eigentliches 
Gebiet haben, wer die Schönheit dieser stillen, einsamen Gegend 
erfahren will, muß sie an einem Sommertage aufsuchen, wenn die 
Weiden, riesigen grünsamtenen Teppichen vergleichbar, sich mit Mil¬ 
lionen von Blumen geschmückt haben, oder an einem Herbsttage, wenn 
sie sanft im Not des Heidekrautes aufleuchten, wenn die einzig be¬ 
lebten Wesen weit und breit die weißgestirnten Rinder zu sein 
scheinen, die herdenweis, von einem Hirten beschützt, hier und da auf 
den weiden grasen. 
5. Alles, was unser Auge hier sieht, erzählt uns eine Geschichte, 
selbst die Steine, die überall umherliegen und aussehen, als habe 
sie der Himmel im Zorn auf den Westerwald herabgehagelt, was 
für einen erbitterten Kampf haben die Westerwälder gegen sie ge¬ 
führt, wenn's immer wieder schien, als laute der biblische Fluch, 
der hier auf dem Acker liegt: „Tr soll dir Dornen und Steine tragen," 
bis dann endlich heute die Zeit gekommen ist, wo der Fluch, der 
auf den Steinen lag, sich zum Segen gewandelt hat. — Dann der 
Wald. Einstmals bedeckte er das ganze Gebirge und spielte hier 
oben die wichtigste Rolle. In seinem Frieden konnte eine Ansiede¬ 
lung erst entstehen- er allein bildete den natürlichen Schneefang um 
die Dörfer und ihre Fluren und das einzige Mittel dagegen, daß 
bis tief in das Frühjahr hinein Schnee und Lis und infolgedessen 
Nässe die Bestellung der Felder unmöglich machte,- er allein ließ 
die Ackerkrume am Boden haften und verhinderte, daß auf einem 
einzigen Acker Hunderte von Basaltblöcken in jedem Frühjahr immer 
wieder aufs neue aus der Erde lugten und so den Bauern jahraus, 
jahrein die ewige Last des Rodens auferlegt ward. Lines Tages 
war der Wald weg, fast spurlos auf dem oberen Westerwald ver¬ 
schwunden und damit auch das Kapital, von dessen Erträgnissen man 
bisher gezehrt hatte. Bereits im Jahre 1562 erscheint ein Forst¬ 
gesetz, das dem Schaden abhelfen soll, und in dem geklagt wird, 
daß die Gehölze und hochgewälde in Abgang gekommen seien und 
die Untertanen schädlichen Mangel haben. Aber auf dem hohenwester- 
walde war das Aufforsten viel schwieriger als das Abholzen. Er 
blieb kahl, und was er im 16., 17. und 18. Jahrhundert gewesen 
war, das war er auch noch im 19. Jahrhundert: ein Gebirge, auf 
dem man nichts als Himmel, Pfützen und große Steine sieht. Seit 
den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat die Regierung die
	        
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