Full text: Deutsches Lesebuch für Handelsschulen sowie für Real- und höhere Bürgerschulen

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Nach einer Weile sagte er: „Es wird nicht mehr möglich sein, 
daß Sie die Hochstraße erreichen.“ 
„Wie so? fragte ich. 
„Weil das Gewitter ausbrechen wird,“ antwortete er. 
Ich sah nach dem Himmel. Die Wolkendecke war eher dichter ge— 
worden, und auf allen kahlen Steinflächen, die wir sehen konnten, lag 
ein sehr sonderbares, bleifarbenes Licht. 
„Daß ein Gewitter kommen wird,“ sagte ich, „war wohl den 
ganzen Tag zu erwarten, allein wie bald die Dunstschichte sich ver⸗ 
dichlen, verkuühlen, den Wind und die Elektrizität erzeugen und sich 
herabschütten wird, kann man, glaube ich, nicht ermessen.“ 
„Man kann es wohl nicht genau sagen,“ antwortete er, „allein ich 
habe 2 Jahre in der Gegend gelebt, habe Erfahrungen gesammelt, 
uͤnd nach ihnen wird das Gewitter eher ausbrechen, als man denkt, 
und wird slark sein. Ich glaube daher, daß es das Beste wäre, wenn 
Sie mi mir in meinen Pfarrhof gingen und die Nacht dort zubrächten. 
Der Pfarrhof ist so nahe, daß wir ihn noch leicht erreichen, wenn wir 
auch das Gewitter schon deutlich sehen.“ 
Wir gingen sehr langsam, teils der Hitze wegen, teils weil es von 
jeher schon so unsere Gewohnheit war. 
Plotzlich flog ein schwacher Schein um uns, unter dem die Felsen 
erröteten. 
Es war der erste Blitz gewesen, der aber stumm war und dem 
kein Donner folgte. 
Wir gingen weiter. Nach einer Weile folgten mehrere Blitze, und 
da der Abend bereits ziemlich dunkel geworden war, und da die Wolken— 
schichte auch einen dämmernden Einfluß ausübte, stand unter jedem 
Blitze der Kalkstein in rosenroter Farbe vor uns. 
Alb wir zu der Stelle gelangt waren, an welcher unsere Wege 
sich teilten, blieb der Pfarrrer stehen und sah mich an. Ich gab zu, 
daß ein Gewilter komme, und sagte, daß ich mit ihm in seinen Pfarr— 
hof gehen wolle. 
Wir schlugen also den Weg in das Kar ein und gingen über den 
sanften Steinabhang in die Wiese hinunter. 
Als wir bei dem Pfarrhofe angelangt waren, setzten wir uns noch 
ein wenig auf das hölzerne Bänklein, das vor dem Hause stand. Das 
Gewitter hatte sich nun vollständig entwickelt und stand als dunkle 
Mauer an dem Himmel. Nach einer Weile entstanden auf der gleich— 
aen dunkelfarbigen Gewitterwand weiße, laufende Nebel, die in 
en wulstigen Streifen die unteren Teile der Wollenwand säumten. 
den war also vielleicht schon Sturm, während bei uns sich noch kein 
en und kein Blati rührte. Solche laufende, gedunsene Nebel 
m ei Gewittern oft schlimme Anzeichen, sie verkünden immer Wind— 
ausbrüche, oft Hagel und Wasserstürze. Den Blitzen folgten nun auch 
schond ee Doͤnner. 
Endlich gingen wir in das Haus. Der Pfarrer sagte, daß es 
hin Srn el n w plen Gewitlern ein Kerzenlicht auf den 
ei i ig si i 
h em Lichte ruhig sitzen zu bleiben, so lange 
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