Full text: (Drittes und viertes Schuljahr) (Teil 2, [Schülerband])

5konnte. Er klopfte ihm an den Hals und sprach: „Sei ruhig, Liese"; 
aber das Pferd machte aufs neue Männerchen. Da ward er zuletzt 
ärgerlich und rief ganz ungeduldig: „So wollt' ich, daß du den Hals 
zerbrächest!" Wie er das Wort ausgesprochen hatte, plump! fiel es 
auf die Erde; das Pferd lag tot und regte sich nicht mehr. Damit 
10 war der erste Wunsch erfüllt. 
Weil er aber von Natur geizig war, wollte er das Sattelzeug 
nicht im Stiche lassen, schnitt's ab, hing's auf den Rücken und mußte 
nun zu Fuß gehen. „Du hast noch zwei Wünsche", dachte er und 
tröstete sich damit. Wie er nun so langsam durch den Sand dahin 
15 ging und zu Mittag die Sonne heiß brannte, ward's ihm so warm 
und verdrießlich zu Mute; der Sattel drückte ihn auf den Rücken, und 
doch war ihm noch immer nicht eingefallen, was er sich wünschen sollte. 
„Wenn ich mir auch alle Reiche und alle Schätze der Welt wünsche", 
sprach er zu sich selbst, „so habe ich doch noch allerlei Wünsche, dies und 
20 jenes, das weiß ich im voraus; ich will's aber so einrichten, daß mir 
gar nichts zu wünschen übrig bleibt." 
Meinte er, diesmal hätte er etwas, so erschient ihm hernach doch 
viel zu wenig und zu gering. Da kam ihm so in die Gedanken, was 
es seine Frau jetzt gut hätte; die säße daheim in einer kühlen Stube 
25 und lasse sich's wohlschmecken. Das ärgerte ihn ordentlich, und ohne 
daß er's wußte, sprach er so hin: „Ich wollte, sie säße daheim auf dem 
Sattel und könnte nicht herunter, statt daß ich ihn da auf meinem Rücken 
schleppe!" Und wie das letzte Wort aus seinem Munde kam, so war 
der Sattel von seinem Rücken verschwunden, und er merkte, daß 
80 sein zweiter Wunsch in Erfüllung gegangen war. 
Da ward ihm erst recht heiß, er fing an zu laufen und wollte sich 
daheim ganz einsam in seine Kammer hinsetzen und auf was Großes für 
den letzten Wunsch nachdenken. Wie er aber ankommt und die Stubentür 
aufmacht, sitzt da seine Frau mitten auf dem Sattel und kann nicht 
85 herunter, jammert und schreit. Da sprach er: „Gib dich zufrieden, ich will 
dir alle Reichtümer der Welt herbei wünschen, nur bleib da sitzen!" Sie 
anwortele aber: „Was helfen mir alle Reichtümer der Welt, wenn ich 
auf dem Sattel sitze; du hast mich darauf gewünscht, du mußt mir 
auch wieder herunter helfen." Er mochte wollen oder nicht, er mußte 
40 den dritten Wunsch tun, daß sie vom Sattel ledig wäre und herunter¬ 
steigen könnte; und der Wunsch war alsbald erfüllt. 
Also hatte er nichts davon als Ärger, Mühe und ein verlorenes 
Pferd; die Armen aber lebten vergnügt, still und fromm bis an ihr 
seliges Ende. Brüder Grimm.
	        
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