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im Sonnenschein. Der Rosenstock war voll Freude und Bewunderung;
bald aber überkam ihn ein Gefühl der Trauer und des Zagens. O,
wie einsam, wie verlassen lag er hier. Er sah flinke Gärtnerburschen
in zierlicher Kleidung, die hier eine vom Sturm gebeugte Blume auf¬
banden, dort abgebrochene Zweige sammelten, aber niemand kümmerte
sich um ihn, — fern war das Kind, das ihn so treu gepflegt, so sehr
geliebt. — Und wie klein, wie unbedeutend fühlte er sich in der ihn
umgebenden Pracht! —
So verging Stunde auf Stunde: immer trauriger ward der arme
Rosenstrauch. Sollte er hier im Anschauen der ersehnten Herrlichkeit
verschmachten? O, wenn der Bach ihn wieder mitnähme und brächte
ihn zum Anne-Mariechen! Aber der Bach hörte nicht auf sein Seufzen;
er that, als kenne er ihn nicht mehr und lief eilig vorüber.
Da plötzlich sah der Rosenstock zwei schlanke Mädchengestalten vom
Schlosse herkommen. Ein kleines Windspiel lief vor ihnen her, um¬
kreiste sie spielend in zierlichen Sprüngen und kehrte dann wieder lieb¬
kosend zur schönen Herrin zurück. Ja! das waren die Königsfräulein
mit den seidenen Kleidern und den feinen Gesichtern, von denen der
Vogel erzählt hatte; glitzerten doch auch ihre langen Locken im Sonnen¬
schein wie lauteres Gold. „Sie werden mich finden, mich aufnehmen
und pflegen," so hoffte er. Das Hündchen kam heran, beschaute und
beroch den Gast aufmerksam und schoß wieder weiter; doch auch die
schönen Fräulein kamen näher und näher. Jetzt betraten sie die Brücke
und schauten ringsum, als sie oben standen. Da rief die größere,:
„O sieh, der schöne Rosenstock! Wo mag der herkommen? Ich will es
dem Gärtner sagen, der soll ihn einpflanzen!" — und sie gingen
vorüber. Wie wäre das Anne-Mariechen zu seiner Hilfe herbeigesprungen,
hätte es nicht geachtet, wenn die Dornen seine Fingerchen zerstochen,
sein Kleidchen zerrissen. Der arme Rosenstrauch war gar traurig.
Bald kam nun ein munterer Gürtnerbursch und nahm ihn mit zu
seinem Herrn, dem Obergärtner, und der sagte: „Es ist ein guter
Rosenstrauch; wir können ihn gebrauchen. Pflanze ihn ein, hier nahe
beim Springbrunnen. Aber der Rosenstrauch muß anders werden.
Ich will ihn beschneiden, und er soll künftig nicht nur hellrote, sondern
auch weiße, gelbe und dunkelrote Blüten tragen."
5.
Und so geschah es. Die Zweige wurden gestutzt, andere Triebe
künstlich eingesetzt. Mit neuen Augen schaute nun der Rosenstrauch um
sich, aber fröhlich konnte er nimmer werden. Wohl war es schön um
ihn her, — aber die Lieder, die der Springbrunnen neben ihm sang,
waren immer die gleichen, einförmig und langweilig; die fremden
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