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Das verdroß den König sehr; er ließ den Namen austilgen und den
seinigen wieder einschreiben. Aber über Nacht stand wieder der Name
jener armen Frau auf der Tafel, und jedermann las, daß sie des Münsters
Stifterin sei.
Und zum drittenmal ward des Königs Name auf die Tafel ge—
schrieben, und zum drittenmal verschwand er, und jener kam zum —
Da merkte der König, daß hier Gottes Finger schreibe, demütigte
sich und ließ die Frau vor seinen Thron fordern. Voll Angst und Schrecken
trat sie vor den herrscher. Der sprach zu ihr: „Frau, es begeben sich
wunderliche Dinge; sage mir bei Gott und deinem Leben die Wahrheit!
Hast du mein Gebot nicht vernommen, daß niemand zu dem Münster geben
solle? Und hast du doch dazu gegeben?“
Da fiel das Weib dem Könige zu Füßen und sprach: „Gnade, mein
herr und König! Ich will alles bekennen. Ich bin ein ganz armes
Weib und muß mich kümmerlich mit Spinnen ernähren, daß mich der
hunger nicht tötet. Da hatte ich aber doch ein hellerlein erübrigt, das
wollte ich gar zu gerne darbringen zu deinem Tempelbau und Gott zu
Ehren; aber ich fürchtete, o Herr, deinen Bann und deine harte Be—
drohung, und da kaufte ich um das hellerlein ein Bündlein heu, das
streute ich auf die Straße den Ochsen hin, welche die Steine zu deinem
Münster zogen, und sie fraßen es. So tat ich nach meinem Willen und ohne
dein Gebot zu verletzen.“
Da ward der König tief bewegt von der Rede der Frau und erkannte,
wie Gott der herr ihren reinen Sinn gewürdigt und ihn als höheres
Opfer angenommen hatte als des Rönigs reichen Schatz.
Der KRönig aber beschenkte die arme Frau reichlich und nahm sich
die Strafe seiner Eitelkeit wohl zu Herzen. CLudwig Bechstein.
110. Die Distel.
Nein, war das ein Sommertag! Das hHerz im Leibe lachte einem vor
Wonne. Aber heiß war's. Schon um drei Uhr morgens hatte die Sonne
aus der himmelstüre geguckt und der Erde guten Morgen gewünscht;
die hohe Frau mußte recht gut geschlafen haben, denn sie lachte mit
dem ganzen Gesicht, und nicht ein einziges Wölkchen zog während des
Tages über ihr strahlend frohes Antlitz. Es war so ein echter Sommertag.
Auf den Feldern reifte still das Getreide, und in den Obstgärten rundeten
sich heimlich die Apfel und Birnen. So heiß war's, daß im Grasgarten
die Kirschen am Baum und die spielenden Kinder darunter um die Wette
rote Bäckchen bekamen. Schritt für Schritt zogen die Pferde auf der weiß
schimmernden Straße die Lastwagen bergan; der Fuhrmann ging nebenher,