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Vilmar: Die Siegfriedsage des Nibelungenliedes.
zugleich schwachem Herzen wiederklingen: „Wenn auch eines Königs Mann
noch so hehr und reich ist und in noch so fernen Landen sitzt, was sein König -
und Herr ihm gebietet, das wird er thun. Und wie gern sähe ich deine Schwester
Kriemhild, mich ihrer sittigen Zucht, ihrer süßen Anmut, ihrer holden Traulich¬
keit wie ehedem zu erfreuen, als ich deine, sie Siegfrieds Gattin wurde!"
Günther giebt nach und sendet Voten an Siegfried, die ihn auf der Nibelungen-
bnrg im Lande zu Norwegen treffen. Sie laden ihn zu einem fröhlichen großen
Fe,te, das am Sonnwendtage, in der alten germanischen Festzeit, am Hose der
Vurgunden zu Worms gefeiert werden soll. Siegfried geht zu Rate mit seinen
Getreuen; diese sowie der alte Vater, König Siegmund, stimmen dafür, die
Umladung anzunehmen, und mit großem Heergefolge von eintausend Edlen ziehen
E^gfned und Kriemhild in Begleitung des alten Siegmund — denn die Mutter
^wgelinde ist inzwischen gestorben — arglos und unbefangen, in der sichern
Heiterkeit der Unschuld nach Worms an dem Rheine. Reiche Gaben, rotes
Gold und strahlende Kleinode werden mitgeführt, um die Milde, die Freigebig-
lett eines reichen Königs am Hofe der Bnrgunden zu bethätigen; nur das Kind
wird zurückgelassen, Siegfrieds und Kriemhildens Sohn; es sollte seinen Vater
und seine Mutter nimmer wiedersehen.
stv Münzender Empfang wartet der Gäste zu Worms; mit ihnen strömen zum
tausende von Rittern von allen weiten Wegen ein in die Thore der
Komgsstadt, in prächtigen Reitgewändern reiten die Könige mit ihrem Gefolge
durchs die Gassen, und herrlich geschmückt sitzen edle Frauen und schöne Mägd-
wm m den Fenstern; Posaunen-, Trnmben- und Flötenhall erfüllt die weite
^theinstadt, daß sie laut davon erhallet; aber in die lauten, süßen Töne der
Festesfreude fällt mit schneidendem Gegensatze der gellende Ton des eifersüchtigen
Hasses, die heiseren Stimmen des Zankes übertönen den süßen Flötenklang und
mndrgen den Mordschrei an, der bald die Säle der Burg und die Gassen der
^>tadt,^ der bald alle Lande erfüllen und noch nach tausend Jahren in den Herzen
er spaten Geschlechter erschütternd wiederhallen sollte.
. Die beiden Königinnen, Kriemhild und Brunhild, sitzen zusammen wie einst
m den schönen Tagen vor zehn Jahren und denken dieser Tage — Kriemhild
"^^ller Befriedigung, im reichsten Genusse des damals nur gehofften Glücks.
,,^ch habe einen Mann, der es verdiente, daß alle diese Königreiche sein wären,"
w wallt ihr treues, liebendes, argloses Herz über. Das war der Funke,
n/’rfc schlug. „Wie wäre das möglich?" entgegnet finster Brunhild; „diese
. eict^ gehören Günther und werden ihm Unterthan bleiben." Kriemhild, gleich-
sam verpmken in das liebende Wohlgefallen an dem herrlichen Gatten, überhört
^ * r c aufsteigenden Grolls und fährt noch unbefangener, wo möglich,
s vorher fort: „Siehst du wohl, wie er dort steht, wie er so herrlich vor den
? der Mond vor den Sternen? Darum ist mein Gemüt
L., GdhUch. Brunhild entgegnet, Günther gebühre der Vorrang vor allen
omgen, und Kriemhild antwortet, Siegfried komme ihrem Bruder Günther
^och wohl gleich. Da bricht endlich Brunhild zornig aus: „Als dein Bruder
lch zum Wewe gewann, hat Siegfried selbst gesagt, daß er Günthers Dienst-
aun sei, und dafür halte ich ihn seitdem." Freundlich bittet Kriemhild, diese
hü m? *affen> ^re Brüder hätten sie keinem Dienstmanne verlobt. „Ich lasse
ltntp e wcht'" entgegnet Brunhild trotzig; „dein Mann ist und bleibt uns
ist h*1'" au^ Kriemhildens gerechter Zorn aus: „Und Siegfried
J s och noch edler als Günther, mein Bruder, und es wundert mich nur, daß
I tauge Jahre euch weder Zins noch Dienste geleistet hat." — „Das werden