Full text: Lese- und Lehrbuch für gewerbliche Fortbildungsschulen und andere gewerbliche Lehranstalten

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J. Der Gewerbestand und die Ausbildung des Gewerbetreibenden. 
19. Der Vater gibt dem Sohne seine Ahr. 
1. Deine Tag' und Stunden flossen, 4. Sohn, der Tag hat Stunden viele, 
nicht gemessen, nur genossen, so zur Arbeit wie zum Spiele. 
nicht gezählt nach Schlag und Uhr, Gib das Seine jedem nur, 
wie ein Bach durch Blumenflur. und du freuest dich der Uhr. 
2. Aber ernster wird das Leben, 5. Selber hab' ich mit den Stunden 
und ich will die Uhr dir geben. mich so weit nun abgefunden, 
Trage sie, wie ich sie trug, daß ich ohne Glockenschlag 
unzerbrochen lang' genug! sie nach Notdurft ordnen mag. 
3. Daß sie dir mit keinem Schlage 6. Zähle du für mich die Stunden! 
von verlor'nen Stunden sage! Und auch jene, die geschwunden, 
Unersetzlich ist Verlust kehren schöner mir zurück, 
des Geschäfts und auch der Lust. wenn du sie dir zählst zum Glück. 
F. Rückert. 
20. Das Loch im Irmel. 
I. Ich hatte einen Spielgesellen und Jugendfreund namens 
Albrecht, erzählte einst Herr Marbel seinem Neffen Konrad. Wir 
beide waren überall und nirgend, wie nun Knaben sind, wild, 
unbändig. Unsere Kleider waren nie neu, sondern schnell besudelt 
und zerrissen. Da gab es Schläge zu Hause; aber es blieb beim 
alten. EVines Tages saben wir in einem öffentlichen Garten auf 
einer Bank und erzählten einander, was wir werden wollten. Ich 
wollte Generalleutnant, Albrecht Generalsuperintendent werden. 
„Aus euch beiden wird im Leben nichts,“ sagte ein steinalter 
Mann in feinen Kleidern und in weibgepuderter Perücke, der hinter 
unserer Bank stand und die kindlichen Entwürfe angehbört hatte. 
Wir erschraken. Albrecht fragte: ,Warum nicht?“ Der Alte 
sagte: „Ihr seid guter Leute Kinder; ich sehe es euren Röcken 
an; aber ihr seid zu Bettlern geboren. Würdet ihr sonst diese 
Löcher in euren Armeln dulden?“ Dabei fabte er jeden von uns 
an die Ellenbogen und bohrte mit den Vingern in die daselbst 
durcehgerissenen Armel hinauf. — leh schämte mich, Albrecht 
auch. „Wenn's euch,“ sagte der alte Herr, „zu Haus niemand 
zunähet, warum lernt ihr's nicht selbst? Im Anfang hüättet ihr 
den Roek mit zwei Nadelstichen geheilt, jetzt ist es zu spät, 
und ihr kommt wie Bettelbuben. Wollt ihr Generalleutnant und 
Gteneralsuperintendent werden, so fangt an beim Kleinsten. PUrst 
das Loch im Armel gebeilt, ibr Bettelbuben; dann denkt an 
etwas anderes!“ 
2. Mir beide sehämten uns von Herzensgrund, gingen 
sehweigend davon und hatten das Herz nicht, etwas Böses über 
den bösen Alten zu sagen. Ich aber drehte den Ellenbogen des 
Rockäürmels so herum, daß das Loch einwärts kam, damit es 
aiemand erblicken möchte. Ieh lernte von meiner Mutter nähen, 
zpielend; denn ich sagte nicht, warum ich's lernen wollte. Jetzt,
	        
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