Full text: Deutsches Lesebuch für die weibliche Jugend

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die Leute lasen sie und wurden klüger und besser. Segen entströmt 
dem Papier. 
„Das habe ich mir nicht träumen lassen, als ich noch eine kleine 
blaue Feldblume war; wie konnte ich denken, daß ich es soweit bringe 
würde, Kenntnisse unter den Menschen zu verbreiten! Ich kann es noch 
gar nicht begreifen! Der liebe Gott ist mein Zeuge, daß ich für meinen 
Teil nichts dazu beigetragen habe, als, was ich mußte, und doch über⸗ 
häuft er mich mit einer Freude und Ehre nach der andern. So of 
ich denke: Das Lied ist aus! steige ich grade zu einer höheren Stuft 
empor. Nun werde ich gewiß die ganze Welt durchreisen müssen, 
damit mich alle Menschen lesen!“ 
Aber das Papier wurde nicht auf Reisen geschickt, sondern kan 
zum Buchdrucker, bei dem alles, was darauf geschrieben stand, gedruel 
und in ein Buch, ja in viele hundert Bände zusammengebunden wurde 
denn so konnten viele, viele Menschen Freude und Nutzen davon haben 
„Ja, ja, das ist das Allervernünftigste,“ dachte das Papier. „Ich bleib⸗ 
hübsch zu Hause und werde wie ein Großvater in Ehren gehalten. gh 
obleibe und die Bücher wandern umher; ich bin es, auf dem geschriehen 
worden ist!“ Darauf wurde das beschriebene Papier in ein Půckchen 
zusammengelegt und in dem Schranke aufbewahrt. „Schön ist es, von 
seinen Thaten auszuruhen!“ sagte das Papier. „Man muß sich sammel 
und zum Nachdenken über sich selbst kommen! Was wohl jetzt wieder 
kommen mag!“ 
Eines Tages wurde alles Papier in den Kamin gelegt, um vel— 
branm zu werden; denn es sollte nicht zum Kaufmann wandern, Butt 
und Zucker drin einzuwickeln. Alle Kinder im Hause standen ring⸗ 
umher; sie wollten in der Asche die vielen roten Fünkchen sehen, di 
scheinbar davonlaufen, und einer nach dem andern erlöschen — sie stelle 
die Kinder vor, die aus der Schule kommen, und der letzte ist det 
Schulmeister. Oft glaubt man, er wäre schon fortgegangen, aber dan 
läuft er plötzlich hinter allen andern her. u 
Alles Papier lag im Feuer. O, wie es auflodertel „Ho,“ sag 
es, und in demselben Augenblick bildete alles eine einzige Flamme, 
höher stieg als einst die kleine, blaue Flachsblüte, und heller glunzt 
als die weiße Leinwand. Alle geschriebenen Buchstaben erglühten 
gleich, und alle Worte gingen in Flammen auf. „Nun steige ich grade 
Wegs zur Sonne empor!“ ertönte eine Stimme mitten aus den Flamm 
und es war, als ob tausend Stimmen es einmütig riefen, und n 
Flamme schlug oben zum Schornstein hinaus. Und feiner als 
Flamme, unsichtbar für das menschliche Auge, schwebten kleine, win 
Wesen empor, an Zahl den Flachsblüten gleich. Sie waren noch leichn 
als die Flamme, und als diese erlosch, tanzten sie noch einmal u 
hie Asche hin und wo sie sie berührten, sah man ihre Fußtapfen, d
	        
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