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Das eine Körnlein ist mit vielen andern seinesgleichen eingehüllt
von einer wohlschmeckenden, säuerlichen Masse. Es bildet mit ihnen
eine Beere, die der Himbeere ähnlich ist, weiß oder rot von Farbe
Maulbeere nennt man sie, und der Baum, auf dem sie wächst, heißt
Maulbeerbaum. Dies kleine Korn fällt in die Erde, fängt an zu
keimen und zu wachsen. Nach unten baut es starke Wurzeln, nach
oben einen Stamm, Äste, Zweige, Blätter und kleine, unansehnlich
Blüten.
Soll aber die Seide werden, so muß auch ein anderes Körnlein
herbei; das ist fast noch kleiner als das erste, kaum so groß als del
Knopf einer Stecknadel — ein Eil Die Sonne brütet es am Zweigl
des Baumes aus; wenige Tage, nachdem sie es durchwärmt mit ihren
Strahl, hat sich die formlose Masse in dem Ei in ein kleines Räupchen
umgewandelt, das zusammengekrümmt darin liegt; so winzig ist es, baß
es in dem kleinen Ei Platz hat. — Jetzt aber wird ihm die Zeit
lang, der Hunger plagt es; der Aufenthalt im engen Kämmerlein gefäll
ihm nicht mehr, wie ein Gefangener sehnt es sich hinaus. Doch wi⸗
kommt es aus der harten Schale seines Kerkers? Es sind der kleinen
Raupe zwei tüchtige Freßzangen verliehen, mit denen beginnt sie, die
Schale zu zernagen. Jetzt hat sie ein Loch gebissen und sieht zun
erstenmal das Licht des Tages; emsig beißt sie weiter, und in einen
halben Tage ist das Loch so groß, daß das schwarze Räupchen hinaus⸗
kriechen kann. Nun streckt es sich und freut sich über den warmen
Sonnenschein, die angenehme Luft und das grüne Maulbeerblatt.
Doch nach der schweren Arbeit fühlt es großen Hunger. Sechzehl
Füße hat es, mit denen kriecht es zum jungen, zarten Blatt, das eben
erst der Knospe entsprossen ist; das ist sein Frühstück. Nun speist c
Tag für Tag — thut nichts weiter. Doch so viel es auch verzehth
so fleißig es Blatt für Blatt frißt — der Maulbeerbaum ist doch noch
fleißiger und treibt an allen Zweigen neue Blätter — so daß es den
Räupchen nie an Futter fehlt.
Zuletzt reicht die Haut nicht mehr zu, so dick ist es geworden
Es sitzt still und wird ganz blaß, sieht aus, als sei es krank und woln
sterben. Jetzt bewegt es sonderbar den Kopf und sieh! die Haut i
ihm zersprungen. Die Raupe windet sich heraus; sie streift ihr altt
Kleid jetzt ab; denn es ist ihr zu enge geworden. Ist sie nun nackt
Bewahre, die neue Haut war schon unter der alten gewachsen. Do⸗
neue Kleid ist bunter gefärbt als das alte, auch ist's viel weiter al
das abgeworfene. Nun geht das Speisen um so eifriger an, bis
neue Haut wiederum zu eng ist und nicht mehr ausreicht. Jetzt wiedel⸗
holt sch derselbe Vorgang und auch später zum dritten und vierten
Male. Aus dem winzigen Räupchen wird nach 6—7 Wochen ein
Raupe, so lang wie ein kleiner Finger, die hat aus dem Saft der