Full text: Deutsches Lesebuch für die weibliche Jugend

68 
— 
„O Wissis, liebe Missis! halten Sie mich nicht für undankbar; 
denken Sie nicht schlimm von mir — ich habe alles gehört, was Sie 
und der Herr heut abend sagten. Ich werde den Versuch machen, 
meinen Knaben zu retten. Sie werden mich nicht tadeln. Gott segne 
und belohne Sie für alle Ihre Güte.“ 
Nachdem sie dies hastig zusammengefaltet und adressiert hatte, 
ging sie an eine Kommode und machte ein kleines Kleiderbündel, und 
die Fürsorge einer Mutter ist so zärtlich, daß sie selbst in dem 
Schrecken dieser Stunde nicht vergaß, in das kleine Päckchen ein paar 
Lieblingsspielsachen des Knaben zu legen, während sie einen bunt— 
bemalten Papagei zurückbehielt, um ihn damit zu unterhalten, wenn 
es nötig geworden sein würde, ihn zu wecken. 
Es kostete einige Mühe, den kleinen Schläfer zum Erwachen zu 
bringen, aber nach einigen Anstrengungen richtete er sich auf und 
spielle mit seinem Papagei, während seine Mutter Hut und Schal 
anlegte. 
„Wohin gehst du?“ fragte er, als sie sich mit seinem Röckchen 
und Mützchen dem Bette näherte. 
Seine Mutter kam näher und blickte so eindringlich in seine 
Augen, daß er sofort erriet, daß etwas Ungewöhnliches im Werke sei. 
„Still, Harry,“ sagte sie, „du darfst nicht laut sprechen, sonst 
hört man uns. Es ist ein böser Mann gekommen, um den kleinen 
Harry von seiner Mutter wegzunehmen und ihn im Finstern fort⸗ 
zuschaffen, aber die Mutter wird das nicht zulassen. Sie wird ihrem 
kleinen Harry die Mütze aufsetzen und das Röckchen anziehen und 
mit ihm davonlaufen, damit ihn der häßliche Mann nicht fangen 
kann.“ 
Unter diesen Worten hatte sie die einfache Kleidung des Knaben 
befestigt, nahm ihn auf ihren Arm, flüsterte ihm zu, daß er sehr 
still sein müsse, öffnete eine Tür ihres Zimmers, die auf die äußere 
Veranda führte, und glitt geräuschlos aus dem Hause. 
Es war eine funkelnde, frostige, sternenhelle Nacht; die Mutter 
schlug ein Tuch dicht um ihr Kind, das, von einem unbestimmten 
Schrecken erfüllt, still an ihrem Halse hing. 
Der alte Bruno, ein großer Neufundländer, der unter der Vor— 
halle schlief, erhob sich mit einem Knurren, als sie in seine Nähe 
kam. Sie rief leise seinen Namen, und das Tier, ein alter Günst— 
ling und Spielkamerad von ihr, wedelte mit dem Schweife und 
schickte sich augenblicklich an, ihr zu folgen, wenn er auch in seinem 
einfachen Hundekopfe nicht begreifen zu können schien, was eine solche 
Nachtpromenade bedeuten möge. 
Wenige Minuten brachten sie zu der Hütte des Onkel Tom; 
Eliza blieb hier stehen und klopfte leise an das Fenster.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.