Full text: Lesebuch für Fortbildungsschulen

22 
Ieh gestehe, die Versuchung war stark. Der Buchbalter schaut 
mich an, chelt und nickt, und dann kritzelt er wieder etwas aufs Papier 
Ich Kann darauf schwören, daß ieh's zuerst gedacht habe, bevor 
ér Vas gesagt hat. Nir war's, als sübe ich drüben im Bräuhaus 
am runden Tische in dem Erker, und vor mir sitzt der Buchbalter, 
und wir stoben fröhlich miteinander an. Und wie ieh das so denke, 
sagt der Buchhalter: Wollen wir hinüber ins Bräuhaus? Es wird 
eben friseh angestochen? 
Es mub sein, daß es Minuten giebt, vo einer dem andern ins 
tiefste Herz hineinschaut. Und ieb sag: Da haben wir einen Ge— 
danken gehabt; aber ieh trinke jetzt nicht, und mir wird plötzlieb 
angst und bang, mir ist, als väre ieh mitten im Walde von Räubern 
angefallen, und doch red ich vom Wetter und allerlei. 
Der Buchhalter macht das Bueb zu, drebt den Schlüssel am 
Kasten ab, zieht einen Rock an, greift naeh seinem Hute und steckt 
meinen Schuldsehein in die Tasche. 
Ich bekomme eine Höllenangst vor dem Buchhalter, und plötzlieh 
reib ieh mieh los und fasse die Thür und renne und stolpere, dab 
jeh fast zu Boden falle, zum Hause hinaus; aber ieb wende mich um, 
und jetzt renne ieh dem Buchhalter gerade auf die Brust; ieb wende 
mieh wieder ab und springe die Dreppe hinauf, und „1187 Gulden 
30 RKreuzer bin ich schuldig!“ schreie iebh der Witwe zu, die an der 
Preppe steht. 
Ieh habe der Witwe bei Heller und Pfennig meine Schuld bezablt. 
Das tröstet mich jetzt, und das nebme ich mit ins Grab. 
Kuerbach. 
20. (7) Der Dorfkirchhof. 
Friedlich Dorf! Nach alter Sitte 
Hast du noch dein Kirchlein stehn 
In des stillen Hofes Mitte, 
Wo zur Ruh die Toten geh'n. 
Sonntags wallet die Gemeine 
Beim Geläute da heraus; 
Zwischen Kreuz und Leichensteine 
Zieht die Schar ins Gotteshaus. 
* 
6 
Wenn beim hellen Festgeläute 
Naht die muntre Höochzeitsschar, 
Wandeln die geschmückten Bräute 
Zwischen Grüften zum Altar. 
Vor der Jungfrau mit der Krone 
Bebt am Kreuz der Flitterkranz, 
Mahnt zum Ernst mit leisem Tone 
Mitten durch Musik und Tanz. 
Wird sie nicht, um Gräber lenkend, 
Schon zu tieferm Ernst gestimmt, 
Daß die Seel', ihr End' bedenkend, 
Besser Gottes Wort vernimmt? 
Aer wankt in tiefen Schmerzen 
Eine Schar zum Grabesrand, 
Dann für die gebrochnen Herzen 
Ist der Trost auch nah zur Hand 
Gleichwie sanfter ja die Kinder 
Weinen in der Mutter Schoß, 
So vor Gottes Haus gelinder 
Ringen sich die Thränen los 
Will sein Kind zur Taufe tragen 
Hier ein Vater wohlgemut, 
Sieht er erst die Hügel ragen, 
Wo so manches Kindlein ruht. 
Flüstert nicht ein Hauch des Windes 10 
Aus der kleinen Gruft heraus: 
„Pflege doch des zarten Kindes 
Zieh es früh zum Himmel auf!“ 
Dörflein, deine Kirch' umkränzet 
Grün des Kirchhofs ernst Geheg', 
Und der Totenacker grenzet 
Hart an deinen Lebensweg. 
11 
Wenn in deine Fest' und Freuden 
Oft ein Sterbgedanke bricht, 
So verklärt sich auch dein Leiden 
In des ew'gen Glaubens Licht. 
6ber
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.