126
in Porto Alegre war und heute wieder hinkommt, dem mag es wohl
vorkommen, als sei er aus einem Dorf in eine moderne, elegante Handels—
stadt gekommen. Stattliche Läden mit mächtigen Spiegelscheiben, hinter
denen die tausenderlei Gegenstände des Verkehrs in geschmackvollster An—
ordnung zum Kauf locken, blendende Gasbelenchtung, wie sie bei uns
Großstädte nicht besser haben, so treten dem Besucher die Hauptstraßen
heute entgegen. Und das ist entschieden vorwiegend auf deutschen Ein—
fluß zurückzuführen.
Durch deutsche Handwerker sind zahlreiche neue Industriezweige
in Süd-Brasilien eingeführt worden, die vorher nicht bekannt waren.
In erster Linie steht natürlich die Bierbrauerei. Die Hutmacherei ist
fast ausschließlich in deutschen Händen. Maschinenfabriken, mechanische
Werkstätten, Tuchfabrikation und manches andere sind erst durch Deutsche
eingeführt worden.
Am wichtigsten sind die Deutschen natürlich als Kolonisten, als
Ackerbauer. Vor der Gründung deutscher Kolonien konnte man kaum
von Ackerbau reden, jetzt aber ist schon ein bedeutender Teil der Ur—
wälder Süd-Brasiliens kultiviert worden, namentlich durch deutschen
Fleiß. Mit dem Auftreten der Deutschen hat besonders für die Provinz
Rio Grande do Sul eine neue Periode der wirtschaftlichen Entwicke—
lung begonnen. Aus einem viehzüchtenden Land wird ein ackerbau—
treibendes, die höhere Kulturstufe tritt an Stelle der niedern. Und mit der
deutschen Einwanderung ist noch eines ins Land gekommen, dessen Folgen
sich eben jetzt in deutlicher Weise zu zeigen begonnen haben: die Achtung
vor der Arbeit des freien Mannes, die, konsequent durchgeführt, mit
der Sklaverei unvereinbar ist. Und so sehen wir denn auch in der That,
daß es die Provinz Rio Grande ist, welche in den letzten Jahren über—
raschend schnell mit der Aufhebung der Sklaverei vorgegangen ist.
Die große Mehrzahl der deutschen Kolonien Süd-Brasiliens ist
auf Urwaldterrain gelegen. Daraus ergiebt sich, daß die Art der Boden⸗
bearbeitung von der bei uns in Deutschland üblichen gänzlich verschieden
ist. Zunächst muß der Wald abgeschlagen und verbrannt werden. Da
bei dieser Gelegenheit die Wurzeln der Urwaldriesen zunächst im Boden
stecken bleiben, so ist ersichtlich, daß landwirtschaftliche Maschinen nicht
zur Anwendung kommen können. An Stelle des Pfluges tritt die einfache