Full text: Deutsches Lesebuch für höhere Handels- und Realschulen

302 — 
58. Von der deutschen Hanse. 
a. Bergen. 
Unter günstigeren Bedingungen als in Rußland lebte der Kauf— 
mann in Norwegen. Außer den kleineren Kaufhöfen in Tönsberg und 
Oslo, die Rostock benutzte, war dort das große Kontor in Bergen. 
Bergen, an wohlgeschützter Bucht, dem Vaagen, gelegen, schon früh 
von den Engländern besucht, zog seit dem dreizehnten Jahrhundert die 
Deutschen an, Kaufleute und Handwerker. Letztere, wie überall in Nor— 
wegen Schuster genannt nach ihrer stärksten Gilde, begründeten ein 
eigenes Viertel, heirateten nicht Norwegerinnen und standen allzeit ge— 
treulich in Freud und Leid, oft mit ihren harten Fäusten zu den Han— 
sischen. Als allmählich eine größere Zahl Kaufleute über den langen 
Winter blieb, erwarben sie Häuser, und so entstand das Kontor, das 
zuerst um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts erwähnt wird und 
nach der Verwüstung Bergens durch die Piraten 1429 zur vollen 
Blüte gelangte. Noch heute heißt das Gestade „die deutsche Brücke“, 
und noch steht ein Teil der alten hansischen Häuser, die jedoch bald 
Neubauten zum Opfer fallen werden. Sie lagen am Rande des Meer— 
busens Vaagen, so daß die Schiffe, an den Landungsbrücken anlegend, 
mit hohen beweglichen Kranen bequem die Warenballen aus- und ein— 
laden konnten. Dreißig Häuser, Garde oder Garten, auch Höfe genannt, 
aus rohen Balken gezimmert, meist dreistöckig mit schmaler Front, aber 
lang zurückgestrecktem Körper, standen dicht nebeneinander. Sie ent— 
hielten Kaufbuden, Packräume und enge, niedere Stuben, in denen die 
Kaufleute, Kaufmannsgesellen, Bootsjungen und Dienstleute in Familien 
unter Aufsicht der „Hausbonden“ abgeteilt wohnten. Hinten lag der 
„Schütting“, ein schmuckloser, länglich viereckiger Raum, fensterlos oder 
mit wenigen kleinen Fenstern, der im Winter die Hausgenossenschaft um 
das mächtige Holzfeuer versammelte, dessen Rauch durch eine Luke im 
Dach seinen Abzug nahm. Auf den ringsumlaufenden Bänken hatte 
jeder seinen Platz abgeteilt, darüber ein Schränkchen in der Wand mit 
Eß- und Trinkgerät. Die Speisen wurden in der anstoßenden Küche, 
dem Elthause, in dem sich ein Brunnen befand, an offenem Feuer in 
mächtigen, von eisernen Haken herabhängenden Kesseln bereitet und durch
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.