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Die Verfassung des Königreichs Preußen.
vereinigten Landtage, der in den meisten Dingen nur eine beratende
Stimme hatte. Man wünschte aber einen Landtag, der auf Grund der
Verfassung (oder Konstitution) das Recht habe, beim Erlaß von neuen
Gesetzen mitzuwirken, die Steuern und die Verwaltung der Staats⸗
einkünfte zu beraten. Im Jahre 1850 gab der König dem Lande
die ersehnte Verfassung; seit dieser Zeit ist Preußen ein Verfassungs—
oder konstitutioneller Staat. — Die wichtigsten Bestimmungen aus
der Verfassungs-Urkunde sind folgende:
J. Das Staatsgebiet.
1. Alle Landesteile der Monarchie in ihrem gegenwärtigen Um—
fange bilden das preußische Staatsgebiet. Im Jahre 1860 gehörten
nur die sogenannten acht alten Provinzen dazu: Preußen, Pommern,
Brandenburg, Posen, Schlesien, Sachsen, Westfalen und die Rhein—
provinz.
2. Jede Veränderung dieses Staatsumfanges darf nur durch ein
Gesetz erfolgen, d. h. die Volksvertretung muß ihre Zustimmung zu
einer solchen geben, z. B. 1866 zu der Einverleibung von Hannover,
Schleswig-⸗Holstein, Hessen, Nassau, Frankfurt a. M.; vor einigen
Jahren: von der Insel Helgoland.
Il. Von den Rechten der Preußen.
1. Ale Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Standesvorrechte
finden nicht statt, d. h. der Bürger und der Bauer hat dieselben Rechte
wie der Edelmann. Die Staats- und öffentlichen Ämter können alle
dazu Befähigten erlangen (Bürgerliche können Offiziere, Minister
u. s. w. werden).
2. Die persönliche Freiheit beschützt der Staat. Eine Verhaftung
kann nur auf Grund von Gesetzen vorgenommen werden.
3. Die Wohnung des Bürgers ist unverletzlich (Hausrecht!).
Das Eindringen in dieselbe und Haussuchungen, sowie die Beschlag—
nahme von Briefen und Papieren sind nur in den gesetzlich bestimmten
Fällen und Formen gestattet.
4. Das Eigentum des Staatsbürgers ist unverletzlich. Es kann
nur aus Gründen des öffentlichen Wohles gegen Entschädigung nach
Maßgabe des Gesetzes entzogen oder beschränkt werden.
5. Der bürgerliche Tod und die Strafe der Vermögenseinziehung
finden nicht statt (wie z. B. im Mittelalter).
6. Die Freiheit der Auswanderung (Freizügigkeit) kann von
Staatswegen nur in Bezug auf die Wehrpflicht beschränkt werden.
— Es kann also jeder ungehindert auswandern, ausgenommen die
jungen Männer vom 17. Jahre ab; sie müssen erst Soldat werden.